Kultur

Johanna von Orléans als überzeugte Aktivistin des Mittelalters

Was hat uns eine Nationalheldin aus dem Mittelalter heute noch zu sagen? Auf ebenso eigenwillige wie eindringliche Weise holt Bruno Dumonts Drama „Jeanne d' Arc“ eine Ikone in die Gegenwart.
von ohne Autor · 3. Januar 2020
Ideale treffen auf Rhetorik: Die Jungfrau von Orleans (Lise Leplat Prudhomme) vor Gericht.
Ideale treffen auf Rhetorik: Die Jungfrau von Orleans (Lise Leplat Prudhomme) vor Gericht.

Die Geschichte der Jungfrau von Orléans – im Französischen Jeanne d' Arc – ist einer der ältesten und auch gefragtesten Filmstoffe überhaupt. Bereits im Jahr 1895 widmete sich ein US-Stummfilm dem Leben der französischen Nationalheiligen, die im Hundertjährigen Krieg gegen die Engländer kämpfte und 1431 auf dem Scheiterhaufen endete. Mehr als 30 weitere Verfilmungen sollten folgen, unter anderem mit Sandrine Bonnaire (1993) und Milla Jovovich (1999) in der Hauptrolle. Man könnte sich also fragen: Braucht die Welt ein weiteres Kinowerk über diese oftmals auch politisch aufgeladene Figur, die zum Symbol für einen unbeugsamen Idealismus wurde?

Zweifelsohne kann man Regisseur Bruno Dumont attestieren, dass er sich um einen eigenwilligen Zugriff bemüht. In dem 2017 in Cannes gezeigten „Jeannette“ widmete sich der Franzose im metallisch angehauchten Musicalstil der Kindheit und Jugend der um 1412 in Lothringen geborenen Ikone. In „Jeanne d' Arc“ setzt er die Erzählung fort. Erneut ging es ihm nicht darum, den historischen Rahmen möglichst authentisch wiederzugeben, sondern das, was für ihn die Essenz und das Zeitlose im Wesen der „Pucelle“ ausmacht, ins Heute zu holen: Er nennt dies einen „unverdorbenen Idealismus“, der in dem unbedingten Vertrauen auf sich selbst und in ihrem Glauben fußt. Und das auch im Angesicht scheinbar übermächtiger Gegner. Und doch bleibt diese Jeanne ein Kind ihrer Zeit.

Einstieg im Abstieg

Der Film setzt ein, als ihr Stern zu sinken beginnt. Nach dem wundersamen Sieg über die englischen Truppen in Orleans und der späteren Salbung von König Karl VII. in Reims befindet sich die 17-Jährige auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes. Der Herrscher wähnt sich am Ziel und lässt sich nur widerwillig darauf ein, die Invasoren auch weiterhin zu bekämpfen. Jeanne will mit ihren Heerscharen Paris befreien, doch der Plan scheitert. Nach einer weiteren Niederlage bei Compiègne lässt sie der König endgültig fallen.

Die junge Frau wird gefangen genommen und landet vor einem Gericht von englandfreundlichen Klerikern. Denen ist die eigensinnige Heerführerin, die Männerkleidung trägt, geistlichen wie weltlichen Obrigkeiten Paroli bietet und politische Ränkespiele stört, seit jeher ein Dorn im Auge. Dass die Lothringerin kein gutes Ende nehmen wird, liegt auf der Hand.

Dumont erzählt die beiden Jahre zwischen den militärischen Pleiten und dem Feuertod der Protagonistin losgelöst von den tatsächlichen Gegebenheiten. Zu Beginn steht Jeanne nicht vor Paris, sondern inmitten von Dünen an der Kanalküste. Nach und nach kommen geharnischte Heerführer heran geklappert, um sich mit ihr zu beraten. Das hat etwas von einem absurden Spektakel, folgt aber dem Ansatz, die Protagonistin als möglichst gegenwärtige Figur erscheinen zu lassen, anstatt zu sehr den historischen Kontext zu betonen, wenngleich sich die Rüstungen und Gewänder an der damaligen Zeit orientieren.

Einige Auftretende werden indes durchaus als absurde Figuren vorgeführt, allen voran die geistlichen Würdenträger, die Jeanne zwischen einschüchternden Kathedralensäulen ins Kreuzverhör nehmen. Sie besitzen die Macht, die Angeklagte wider besseres Wissen als Häretikerin zu verurteilen, erkennen in ihrem gekünstelten Gehabe und ebensolcher Rhetorik jedoch nicht ihre eigene Lächerlichkeit.

Prudhomme mit überwältigender Aura

Lise Leplat Prudhomme, die seinerzeit als Zehnjährige die kindliche Jeanne spielte, verkörpert nunmehr die Protagonistin als 19-Jährige. Der Kontrast zwischen kindlichem Äußeren und, wenn man so will, reifer Haltung verleiht der Figur erst recht eine überwältigende Aura. Mit festem Blick und fester Stimme hält sie den Männern, die ihr den Tod wünschen, stand, zeigt aber dennoch menschliche, will heißen: kindliche Regungen, was diese Jeanne davor bewahrt, als allzu glatte Heldin durchzugehen.

Wie schon in „Jeannette“ stützt sich Dumont auf ein 1897 erschienenes Theaterstück von Charles Péguy. Originalpassagen daraus kommen in den Stimmen zum Ausdruck, die Jeannes Tun und Denken die Richtung geben und vor Gericht als Hexerei verbrämt werden. Und zwar in Form von Zeilen für klagevollen Elektrop-Tracks, die Chanson-Legende Christophe geschrieben hat und die er in einem Fall auch vor der Kamera vorträgt. 

Inspirierende Passionsgeschichte

Absurdes, Irritierendes und Tragisches liegen in dieser mehr als zweistündigen Passionsgeschichte dicht beieinander. Das alles verlangt viel Ausdauer, diese wird mit großartigen Darstellern, allen voran Lise Leplat Prudhomme, belohnt. Nicht auszuschließen, dass wir uns von dieser historisch entschlackten Vertreterin eines positiv besetzten Unbedingten inspirieren lassen. Man könnte gar an die Klimaaktivistin Greta Thunberg denken.

„Jeanne d'Arc (Frankreich 2019), ein Film von Bruno Dumont, mit Lise Leplat Prudhomme, Julien Manier, Jérôme Brimeux u.a., 136 Minuten. Im Kino.

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