Je suis Karl: Verführt von der neuen Rechten
Ein kurzer Blick in die Vergangenheit, dann ein großer Knall – und für eine junge Frau bricht eine Welt zusammen. So beginnt der Film „Je suis Karl“. Ein Bombenanschlag in Berlin, der Maxi (Luna Wedler) und ihrem Vater (Milan Peschel) den Boden unter den Füßen wegzieht: Der Familienvater in Berlin kann seine Trauer um seine ermordete Frau und seine toten Kinder nicht bewältigen, seine überlebende Tochter Maxi verliert sich in den Fängen eines charismatischen Rechtsradikalen.
Brauner Kern, bunte Fassade
„Je suis Karl“ ist drastisch, provokant. „Laut“, so beschreibt Regisseur Christian Schwochow sein neuestes Werk. In einer fiktiven Geschichte zeichnet er das Bild einer modernen, hippen, rechtsextremen Jugendbewegung, inklusive einer verführerischen, charismatischen Persönlichkeit an der Spitze: Karl (Jannis Niewöhner).
„Wir schicken die Menschen auf einen Trip“, erklärt Schwochow im Gespräch mit dem „vorwärts“ seine Intention. Dabei wird dem Publikum trotz der bunten, schrillen Fassade aber schnell klar: Die hippe Jugendbewegung, in die Maxi hineinrutscht, ist alles andere als tolerant. Zwischen Gin-Tonic aus europäischen Zutaten, dem vermeintlichen Schutz kultureller Vielfalt und moderner Popmusik schleichen sich Rassismus, Propaganda und der Wunsch nach Macht und Umsturz. Der Wunsch nach radikalen, gewaltsamen Veränderungen in Europa. Dabei schreckt Karl auch nicht davor zurück, die traumatisierte Maxi zu verführen, zu instrumentalisieren, auszunutzen. Die radikale Fratze, das terroristische Böse, versteckt er hinter Empathie, Mitgefühl, brillanter Rhetorik und durchdringenden, blauen Augen.
Teufel mit Charisma
Es ist die Gefahr einer schillernden Persönlichkeit, eines brillanten Verführers, die Schwochow umtreibt, erklärt er im Gespräch mit dem „vorwärts“: „Ich habe mich schon lange gefragt: Was passiert eigentlich, wenn bei den Rechten mal jemand mit Charisma wie Barack Obama auftaucht?“ Die Antwort auf diese Frage bereite ihm große Sorgen. Deswegen will der Regisseur aufrütteln, zum Nachdenken anregen. „Wie gefestigt bin ich? Gibt es radikale Positionen, die ich teile, über die ich bisher nicht nachgedacht habe? Wäre ich manipulierbar?“, mit solchen Fragen, so hofft Schwochow, setzen sich die Zuschauer auseinander, wenn sie das Kino verlassen.
Ab dem 16. September läuft „Je suis Karl“ in den deutschen Kinos an – zehn Tage vor der Bundestagswahl. Ob der Film das Wahlverhalten wirklich beeinflusst, mag der Regisseur, der bereits bei einem der NSU-Spielfilme Regie führte, nicht beurteilen. Aber: „Wenn der Film irgendwie einen Beitrag dazu leisten kann, dass sich jemand genau überlegt, wie weit rechts oder in eine andere Richtung er oder sie sein Kreuz macht, dann habe ich etwas geschafft.“ Denn eines ist für ihn klar – und das macht am Ende „Je suis Karl“ auch in aller Dramatik deutlich: „Es geht nicht gut aus. Es geht mit Nazis nie gut aus.“