Kultur

Italien - zu schön, um wahr zu sein?

von ohne Autor · 4. Oktober 2012

Bleibt Italien im Zeichen der Euro-Krise das Land der Träume oder wird es zunehmend zum Albtraum? Der Doku-Trip „Italy – Love it or Leave it“ ist eine gleichsam spielerische und kritische Bestandsaufnahme.

Als Ende vergangenen Jahres die Ära Berlusconi zu Ende ging, atmeten viele Italiener auf. Dennoch verzweifeln gerade die Jungen oder Akademiker an ihrem Land: 34,3 Prozent der 15- bis 24-Jährigen sind ohne Job. Und angesichts einer schrumpfenden Wirtschaft werden sie so bald keinen finden. Der Anteil der Arbeitslosen mit Uni-Abschluss kletterte im ersten Quartal 2012 gegenüber dem ersten Vierteljahr 2011 um 41,4 Prozent. Zu Tausenden ziehen sie ins Ausland.Längst ist von einer verlorenen Generation die Rede. Und wie ergeht es denjenigen, die bleiben?

Genau an diesem Punkt setzt die Erzählung von „Italy – Love it or Leave it“ ein: Seit Jahren sehen die Regisseure Gustav Hofer und Luca Ragazzi ihre Freunde davonziehen. Als ihnen plötzlich die Wohnung in Rom gekündigt wird, ist es wie ein Erweckungserlebnis: Sollen auch sie, die im Vergleich zu ihren jungen Landsleuten doch ganz  gut leben, dem lähmenden Klientelismus einer alternden Gesellschaft und unverschämt hohen Lebenshaltungskosten entsagen und einen Neuanfang in Berlin wagen? Vor einer endgültigen Entscheidung geben sie sich ein halbes Jahr Zeit: Während einer Reise durch ihr Heimatland wollen sie sich über das Für und Wider klar werden. Ist wirklich alles so schlimm oder gibt es auch Lichtblicke?

Mehr Lust aufs Exil 

Ob illegal verbuddelter Giftmüll in Kampanien, unverbesserliche Berlusconi-Fans, idyllische Bergseen oder natürlich die beste Küche der Welt: Das Ergebnis der Reise ist ein dokumentarischer Trip, der Klischees beziehungsweise ebenso altbekannte wie ungelöste Probleme aufgreift, um sie zu brechen oder aus ungewohnter Perspektive zu betrachten. Und nicht nur das: Angereichert durch Animationen, die an Monty Python erinnern, gelingt ihnen dabei ein fast schon poetischer, bisweilen urkomischer Blick auf die Absurditäten der italienischen Gegenwart. Die Rollen sind klar verteilt: Während die Reiseeindrücke Hofers Lust aufs Exil nur noch zu steigern scheinen, spürt Ragazzi dem „guten Italien“ jenseits all der Missstände nach. Auch das Vehikel, mit dem Hofer und Ragazzi von Turin bis nach Palermo kurven, könnte kaum klischeehafter sein: Der Fiat Cinquecento ist das Symbol des italienischen Wirtschaftswunders. Was davon und vom einstigen Autoriesen geblieben ist, beschreibt eine Kurzarbeiterin, die sich und ihr Kind am Rande der einstigen Arbeiterstadt Turin mit 1000 Euro über Wasser hält.

Auch die Besuche in Mailand kurz nach Beginn der „Rubygate“-Affäre lassen die Filmemacher verzweifeln: Jene aggressiven Rentner, die Berlusconi vergöttern und seinen Gegnern die Pest an den Hals wünschen, sind erschreckende Beispiele dafür, welche bizarren und sexistischen Weltbilder in der politischen Mitte Italiens salonfähig geworden sind.

Doch auch die Gegenseite hat aufgeholt: Im Gespräch beschreibt die Autorin und Schauspielerin Lorella Zanardo, deren Dokumentarfilm „Der Körper der Frauen“ auch international für Aufsehen sorgte, wie sie gegen den alltäglichen Schmuddel-Sexismus im Fernsehen zu Felde zieht.

Fremder Süden

Tief im Süden rechnet Hofer schließlich mit dem scheinbar vertrauten Chaos aus allmächtiger Mafia und ohnmächtiger Bürokratie: Doch stattdessen konfrontiert ihn Ragazzi mit einem Bauern, der sich weigert, Schutzgeld zu zahlen. Ganz zu schweigen von einer kalabresischen Bürgermeisterin, die nichts anderes tut, als die Gesetze zu befolgen – und dadurch, wie sie mit eingefrorener Miene berichtet, immer wieder Probleme mit der 'Ndrangheta bekommt. Und ist nicht gerade Apulien seit seiner Renaissance unter dem linken und unangepassten Präsidenten  Nichi Vendola zum Modell für andere italienische Regionen geworden?

Als Gipfel der Absurdität mutet zunächst der Besuch im sizilianischen Giarre an: Wie ausrangierte Raumschiffe gammeln dort unvollendete und völlig überdimensionierte Betonklötze vor sich hin, die die öffentliche Hand in Auftrag gegeben hatte. Anstatt sich damit abzufinden, taten sich findige Menschen zusammen, um die Bauruinen als Kunstobjekte zu vermarkten – für Ragazzi ein klares Beispiel für Bürgergeist genau dort, wo zumindest Hofer ihn niemals erwartet hätte.

Die Abgründe, aber auch die überraschenden, wenn nicht gar ermutigenden Gedankengänge, die sich in den Interviews vor wechselnder Kulisse offenbaren, verleihen diesem Film Tiefgang und Witz. Eher hölzern – wenn nicht gar im Sinne der Dramaturgie konstruiert – wirken dagegen die Passagen, indem sich Ragazzi und Hofer beharken, wenn sie die Erkenntnisse der einzelnen Etappen auswerten. Nichtsdestotrotz reift währenddessen die Überzeugung heran, dass beide am Ende recht behalten könnten: Egal, wohin sie die Reise nach einem halben Jahr führen wird.

Info:

Italy – Love It Or Leave It (Italien 2011), ein Film von Gustav Hofer und Luca Ragazzi, 75 Minuten, Originalfassung mit deutschem Voiceover oder Untertiteln. Ab sofort im Kino

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