Kultur

Ingo Appelt: „Die Sorglosigkeit der letzten Jahre ist durch Corona vorbei.“

Das Corona-Virus verändert auch die Kulturlandschaft in Deutschland. Statt in vollen Hallen tritt Comedian Ingo Appelt zurzeit in Autokinos auf. Wie sich das anfühlt und welchen Einfluss Corona auf seine Gags hat, sagt er im Interview.
von Kai Doering · 12. Mai 2020
Das Virus führt uns allen vor Augen, mit welchem Quatsch wir uns in den letzten Jahren zum Teil beschäftigt haben. Corona hat auch das Leben von Comedia Ingo Appelt sehr verändert.
Das Virus führt uns allen vor Augen, mit welchem Quatsch wir uns in den letzten Jahren zum Teil beschäftigt haben. Corona hat auch das Leben von Comedia Ingo Appelt sehr verändert.

Was ist „Drive-in-Comedy“?

Drive-in-Comedy ist eine Marktlücke, die jetzt in der Corona-Krise entdeckt wurde. Während die meisten Veranstaltungen wegen der Kontaktbeschränkungen verboten sind, ist der Betrieb von Auto-Kinos erlaubt, da es hier ja keine Probleme mit dem Mindestabstand gibt. Viele Kulturveranstalter kopieren das, indem sie große Parkplätze mieten, eine Bühne daraufstellen und dort Künstler auftreten lassen, während das Publikum im Auto sitzt. Den Ton von der Bühne bekommen sie dabei direkt über ihr Autoradio ins Auto. Die Qualität ist also sogar besser als sonst bei einem Live-Auftritt.

In Kaarst in Nordrhein-Westfalen sind Sie kürzlich auf einem Parkplatz auf einem Bühnentruck aufgetreten. Wie fühlt es sich an, vor Autos statt vor Menschen zu spielen?

Ein bisschen wie im Zeichentrickfilm „Cars“. Ich habe auch erstmal die Autos angesprochen als ich auf die Bühne gekommen bin. Das Gute ist ja, dass die Namen bzw. Marken draufstehen. Dann merkt man aber auch schnell, dass Menschen in den Autos sitzen, die lachen oder die Lichthupe bedienen. In Kaarst standen etwa 250 Autos auf dem Parkplatz. Das war schon eine große Fläche, auf der sonst wahrscheinlich etwa 2000 Leute Platz hätten.

Normalerweise würden Sie jetzt mit ihrem Programm „Der Staats-Trainer!“ auf Bühnen stehen. Stattdessen finden Ihre Vorstellungen in Autokinos statt. Macht Not erfinderisch oder genießen Sie die neue Erfahrung?

Ich finde die Idee pfiffig, möchte aber nicht, dass es so bleibt. Ich bin jemand, der Menschen sehen und spüren will, was zurzeit natürlich schwierig ist. Ich liebe es, vor einer Meute zu stehen. Doch genau das ist ja zurzeit das Problem. Wir Comedians und die Prostituierten werden deshalb wohl die Letzte sein, die wieder normal ihrer Arbeit nachgehen können – weil es bei beiden auf Nähe ankommt. Ich hoffe sehr, dass es bald sinnvolle Konzepte geben wird, mit denen wir irgendwie weiterspielen können und dabei trotzdem alle Hygienevorschriften einhalten.

Eigentlich wäre jetzt für Sie Hochsaison. Rund 40 Auftritte mussten bereits abgesagt oder verschoben werden. Was bedeutet die Corona-Krise für Sie wirtschaftlich?

Normalerweise bin ich eine verlässliche Einnahmen-Lokomotive, von der auch die Gehälter vieler anderer Menschen abhängig sind. Da hat man ein gewisses Verantwortungsgefühl, die aktuelle Situation trifft mich deshalb schon sehr hart. Vielleicht nicht ganz so hart wie kleinere Künstler, da ich ja schon recht bekannt bin und auch im Fernsehen auftrete, aber ich habe dafür einen großen Kostenapparat. Meine laufenden Kosten existieren ja weiterhin – und zwar auf recht hohem Niveau. Am Anfang hatte ich schon Panik, dass der Job komplett vor die Hunde geht. Das hat die Idee mit den Autokinos etwas aufgefangen.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich für den Kulturbereich von der Politik?

Meine große Sorge ist, dass es durch Corona zu einem kulturellen Artensterben kommen wird. Der Kulturbereich wird ja leider generell sehr stiefmütterlich behandelt. Auch in den letzten Jahren ist sehr viel gespart worden. Hinzu kommt, dass Kunst und Kultur immer weiter privatisiert werden. Ich persönlich trete im Moment vor allem in Einrichtungen auf, die öffentlich gefördert werden. Die Drive-In-Comedy in Kaarst z.B. ist in kommunaler Trägerschaft. Ich denke, darauf kann man aufbauen. Ich wünsche mir, dass die Kommunen noch kreativer werden, was die Finanzierung oder überhaupt Aufrechterhaltung kultureller Einrichtungen angeht. Und ansonsten ist es an jeder und jedem Einzelnen, seine Lieblingkultureinrichtungen mit Spenden und ähnlichem zu unterstützen.

In Kaarst haben Sie auch viele Witze über Corona gemacht. Wie sehr hat das Virus ihr Programm inhaltlich verändert?

Die Sorglosigkeit der letzten Jahre ist auf jeden Fall vorbei. Durch Corona steigt die Demut. Das Virus führt uns allen vor Augen, mit welchem Quatsch wir uns in den letzten Jahren zum Teil beschäftigt haben: “Die Politiker sind alle Trottel.“, „Das Volk hat nichts zu melden.“ Diese Dinge meine ich. Inzwischen sind diejenigen, über die wir uns in den letzten Jahren lustig gemacht haben, wieder die Angesagten und die, die uns gut durch die Krise bringen.

Ihr Kollege Dieter Nuhr wurde kürzlich kritisiert, nachdem er gesagt hatte, Angela Merkel sei dem Virologen Christian Drosten „regelrecht verfallen“. Ist das noch Comedy?

Ja, natürlich. Dieter Nuhr und ich haben witziger Weise häufig ähnliche Themen, bearbeiten sie aber komplett anders. Dieter ist mehr so der Typ Aufklärer. In Deutschland gibt es nur wenige Comedians, die so gut recherchieren wie Dieter Nuhr. Seinen Fans gefällt genau das. Ich persönlich finde aber, dass es gerade in dieser Zeit um Gefühle gehen sollte. Emotionalität ist jetzt wichtiger als Rationalität. Deshalb mache ich mich auch gerne über nahezu alles lustig. Am Ende wollen wir natürlich alle Recht haben.

Ihr Kollege Florian Schroeder hat auch aus der Not eine Tugend gemacht und eine tägliche „Quarantäne-Show“ auf Instagram und Youtube ins Leben gerufen. Wäre das auch etwas für Sie?

Nein, auf keinen Fall. Ich habe das ein paar Mal ausprobiert und Auftritte in meinem Wohnzimmer gedreht, aber das ist mir einfach zu tot. Ich möchte Menschen vor mir haben. Auch diese ganzen Videokonferenzen kann ich nicht mehr sehen. Als Überbrückung ist das alles schön und nett, aber ich bin froh, wenn ich auf der Bühne stehen kann – und sei es vor Autos.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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