Kultur

Imre Kertész: Tod eines leisen Europäers

Mit 15 kam er nach Auschwitz und überlebte den Terror des Nationalsozialismus. Imre Kertész war einer der bedeutendsten Schriftsteller der europäischen Nachkriegsliteratur. Nun ist der Literaturnobelpreisträger im Alter von 86 Jahren gestorben.
von Jörg Hafkemeyer · 31. März 2016
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Er war ein stiller, ein leiser, ein sehr herzlicher Mann. Imre Kertész. Er ist alt geworden, 86 Jahre und war am Ende seines Lebens wieder in Budapest, der Stadt, in der er am 9. November 1929 geboren wurde. So viele bedeutende Schriftsteller der Nachkriegsliteratur in Europa gibt es gar nicht; Imre Kertesz gehört dazu. Nicht nur, weil er 2002 mit allen guten Gründen für sein Gesamtwerk mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, es sind seine autobiografischen Bücher, die ihn so einzigartig machen.

Kertész kam mit 15 nach Auschwitz

Viele in Europa, in Budapest, in Berlin, wo er zwischen 2002 und 2012 lebte, werden um ihn trauern. Das hat nicht nur etwas mit seiner Person zu tun, natürlich auch mit seinen Arbeiten. 1975 erscheint im sozialistischen Ungarn der „Roman eines Schicksalslosen“, der zunächst von den staatlichen Verlagen abgelehnt worden war. Als er dann herauskommt, wird er ignoriert. Erst zehn Jahre später, es geht in Ungarn schon ein wenig liberaler zu, gibt es eine Neuauflage. Eine erfolgreiche. 2004 wird das Buch verfilmt, 2005 auf der Berlinale erstmals in Deutschland gezeigt.

Imre Kertész hat Auschwitz ertragen. Dort wird er im Juli 1944 eingeliefert. Er ist noch keine 15 Jahre alt. Er überlebt anschließend auch die Konzentrationslager Buchenwald und Tröglitz/Rehmsdorf. Es sind seine Erlebnisse, seine Erfahrungen in den Lagern, die sein Lebensthema werden. Im zerstörten Europa. Von den Deutschen ruiniert. Als der Kontinent geteilt wird, spätestens 1949, ist er 20 Jahre auf der Welt. Hat den Terror der Nationalsozialisten überlebt. Er schreibt: 1999 erscheint „Fiasko“, 2003 „Liquidation“, 2009 „Letzte Einkehr“.

Er überlebte den Terror des Nationalsozialismus

Und Imre Kertész schrieb Tagebuch. Auch über die geistige Isolation im Kommunismus zwischen 1961 und 1991: „Galeerentagebuch“ ist der Titel dieser Arbeit, die nahezu einer literarischen Dokumentation gleich kommt. Der Abschlussband seiner Tagebuchveröffentlichungen ist Anfang März in Budapest herausgekommen und wird zur Frankfurter Buchmesse im Herbst auf Deutsch erscheinen unter dem Titel „Der Betrachter – Aufzeichnungen 1991 – 20011“ (Rowohlt Verlag). Imre Kertész ist gestorben an der Parkinsonkrankheit, die ihn schon lange heimgesucht hat.

Er war KZ-Insasse im Nationalsozialismus. Geistig Inhaftierter im real existierenden Sozialismus. Und vor allem, er war Zeuge dieser Zeiten wie Jorge Semprun, Günter Kunert, Ota Filip, Georg Kreisler, Stefan Heym und viele andere.

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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