Eigentlich lief alles wie am Schnürchen. Zwar hatte er sein Laufbahn als aktiver Fußballer wegen einer Muskelverletzung 1970 beenden müssen, doch nach dem Studium an der DHfK Leipzig machte
Jörg Berger als Trainer Karriere: vom Vereins- und Verbandstrainer bis zum Trainer der Nachwuchs-Auswahlmannschaft der DDR. Während des Studiums hatte er die Schwimmerin Harriet Blank, die es
1964 bis zu den Olympischen Spielen nach Tokio gebracht hatte, kennen und lieben gelernt. Sohn Ron wurde geboren. Sie bezogen sofort eine der begehrten Neubauwohnungen. Der Trabi, auf den andere
jahrelang warten mussten, stand vor der Haustür.
Der Fluchtgedanke
Aber ganz so rosig war das Leben eben doch nicht. Wegen seiner etwas lockeren Ehe (mit der Treue nahmen es beide nicht sonderlich ernst) geriet Jörg Berger ins Visier der Stasi. Deren absonderliche Argumentation lautete: "Ehestress" bedeutet "Neigung zu Kurzschlussreaktionen" heißt "Überläufergefahr". Jörg und Harriet bekamen ihre Probleme nicht in den Griff und trennten sich. Für Bergers Trainerkarriere bedeutete das: Ausschluss von Auslandseinsätzen im Westen auf lange Sicht. Dies sowie das eigentümliche Sponsering der Fußballvereine, die häufige Bespitzelung, das absurde Hineinregieren politischer Großkopfeten in Trainerbelange (so wurde der Coach von Hansa Rostock Heinz Werner entlassen, weil er sich während eines Spiels weigerte, der Forderung des SED-Politbüromitglied Harry Tisch nachzukommen, den Torwart und einen Feldspieler auszuwechseln) veranlassten Berger dazu, über eine Flucht in den Westen nachzudenken.
Als ihm dann im Frühjahr 1979 ein Spiel der von ihm trainierten U23-Nationalelf in Jugoslawien die Chance bot, der DDR den Rücken zu kehren, nutze er sie. "Er habe die Bevormundung gehasst",
erklärte er später in einem Interview. In der Botschaft der Bundesrepublik in Belgrad sei er mit einem Pass mit falschem Namen und einem Bahnticket nach Frankfurt/Main ausgestattet worden. Ein
jugoslawischer Grenzer habe ihn erkannt, aber nicht verraten und ihm viel Glück im Westen gewünscht. "Dieser Mann hat mein Leben gerettet. Ich habe ihn nach 1989 gesucht, aber vergeblich", so
Berger.
Der Feuerwehrmann
Nach seiner Flucht in den Westen betreute er mehr als ein Dutzend Clubs, darunter Schalke 04, Eintracht Frankfurt, KSV Hessen Kassel, Alemannia Aachen. Auslandsengagements führten ihn in die
Schweiz und die Türkei. Nach der Wende war Berger 2004/2005 Cheftrainer von Hansa Rostock. Heute arbeitet er als Co-Kommentator für das Fernsehen.
Jörg Berger galt als Motivationskünstler. So manche Mannschaft rettete er vor dem Abstieg. Das brachte ihm den Spitznamen "Feuerwehrmann" ein. Doch leicht war ihm sein Weg keineswegs
gemacht worden. Das Gießener Aufnahmelager für geflüchtete DDR-Bürger blieb ihm ebenso wenig erspart wie das Erwerben des Trainerscheins (West). Trotz Protest: "Ich habe drüben nicht irgendwelche
Amateurmannschaften trainiert, sondern war auf dem Sprung zum Nationaltrainer". Selten bekam er die Chance, eine Mannschaft über längere Zeit aufzubauen. Er blieb also auf dem Sprung. Als
DDR-Flüchtling sah er sich überdies Bedrohungen ausgesetzt. Hinter denen die Stasi steckte.
Das Nachspiel
Dass er stets das für sich Richtige tat, davon ist Jörg Berger überzeugt. Sein Kampfeswillen ist beeindruckend. Einmal mehr, als ihn das Drama, der "Verlängerung" ereilte, um im Fußballjargon
zu bleiben. Wenige Stunden vor dem Spiel seines Vereins Alemannia Aachen gegen Union Berlin am 8. November 2002 konfrontierte ihn sein Arzt mit der Diagnose Darmkrebs. Trotz ungewissen Ausgangs,
gab er nicht auf, besiegte den Krebs. Kämpfte weiter, als nach drei Jahren erneut Metastasen festgestellt wurden.
Jörg Berger beschreibt seine zwei Halbzeiten in Ost und West: ohne Bitterkeit, präzise und sehr ehrlich, witzig und anekdotenreich, weniger politisch mitunter - aus der Sicht eines
privilegierten Sportlers eben.
Dagmar Günther
Jörg Berger: Meine zwei Halbzeiten. Ein Leben in Ost und West, Rowohlt Verlag, Reinbek 2009, 269 Seiten, ISBN 978-3-498-00654-9