Im Strahl der Sonne – Nordkorea heimlich betrachtet
Es ist eine dieser Szenen, die viel über Nordkorea und alles darüber sagen, wie der Film des ukrainisch-russischen Regisseurs Vitaly Mansky entstanden ist. „Sagen Sie, dass Sie eine Arbeit verrichten, die Sie glücklich macht“, sagt ein Mann in schwarzem Lederblouson zu einer Fabrikarbeiterin. Prompt knipst sie mit ihren Kolleginnen ein Lächeln an.
Vorab das Drehbuch vorlegen
Wir sind in einer Soja-Molkerei in Pjöngjang, einem der Vorzeigebetriebe des kommunistischen Landes. Einer der Frauen, die der Regierungsvertreter strammstehen lässt, ist die Mutter von Zin-mi. Die Achtjährige lebt mit ihren Eltern in der nordkoreanischen Hauptstadt. Sie ist die Hauptfigur des Films. Über ein Jahr verteilt begleitete sie Mansky in mehreren Etappen, um zu zeigen, wie das Mädchen in dem abgeschotteten Land seinen Alltag verlebt und wie es sich auf das wohl wichtigste Ereignis im Leben eines Kindes im Reich der Kim-Dynastie vorbereitet: die Aufnahme bei den Jungpionieren.
Dafür nahm der 1963 geborene Regisseur Arbeitsbedingungen auf sich, die eigentlich für alles andere als einen dokumentarischen Mehrwert sprechen. Sein Team musste dem zuständigen Ministerium vorab das Drehbuch vorlegen. Und bekam ein neues zurück, das strengstens einzuhalten war. Die Dreharbeiten: eine einzige Inszenierung. Nahezu pausenlos kontrollierten Aufpasser die Aufnahmen, gaben Regieanweisungen und unterbanden jegliches Gespräch zwischen dem Team und Zin-mis Familie.
Keine Frage: Wer, so wie Mansky, dem Konzept der Freiheit und ihren Beschränkungen auf der Spur ist, findet kaum ein anderes Land, das für dieses Thema so reichen Stoff bietet wie Nordkorea. Den Kims ist es in mehr als sechs Jahrzehnten gelungen, dass Volk mit schwülstigem Nationalismus und Militarismus sowie Hasspropaganda gegen die USA und den feindlichen Rest der Welt bis ins Unermessliche zu manipulieren.
Strahlender Fortschrittsglaube und fröhliches Kinderlachen
Zumindest bestätigt Manskys Film diesen Eindruck. All die Massenkundgebungen, etwa zum „Tag der Sonne“, dem wichtigsten Feiertag zu Ehren dieser vergöttlichten Diktatur, scheinen für sich zu sprechen. Schneidig marschiere Reihen vor monumentaler Kulisse, dazu strahlender Fortschrittsglaube und fröhliches Kinderlachen: So sieht sich das „schönste Land der Welt“ gerne selber. Auch Zin-mis Leben spielt sich in diesem Rahmen ab.
Das alles wäre allerdings nicht den Aufwand wert gewesen, den Mansky betrieben hat, um in jenem seltsamen Land zu drehen, das einzig Russland und China zu seinen Verbündeten zählt und dessen Herrscher Kim Jong-Un allen anderen immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen droht. Es gelang ihm, seine so penibel wie bestimmt auftretenden Bewacher auszutricksen und den vorgegebenen Plot, der Zin-mi als Teil einer Musterfamilie inszenieren sollte, zu erweitern. Allein, dass der Zuschauer mitbekommt, wie die Offiziellen nicht nur auf die buchstabengetreue Umsetzung des Drehbuchs achten, sondern auch selbst das Geschehen bestimmen, ist eine kleine Sensation.
Unbemerkt ließ Mansky einfach die Kamera laufen und das Material an der Zensur vorbei ins Ausland schaffen. Aber auch in anderer Weise offenbart sich das ganze Ausmaß der Propaganda: Zug um Zug wird enthüllt, dass nicht nur die im Drehbuch vorgesehenen Szenen, sondern auch die Lebensumstände der Familie pure Inszenierung sind. Die nahezu unberührt anmutende Vorzeigewohnung ließ es ohnehin vermuten. Außerdem gelang es dem Team, vom Hotelfenster aus Eindrücke von Pjöngjang einzufangen, die dem Regime wenig schmecken. Die Kluft zwischen der heilen Propagandawelt und dem Alltag in dieser hoffnungslos verarmten Gesellschaft ist überdeutlich. Nicht ohne Grund gab es zwischen Russland und Nordkorea ein reges diplomatisches Hin und Her, nachdem die endgültige Schnittfassung auf Filmfestivals präsentiert worden war.
Keinerlei gedankliche Opposition?
Ebenso profitiert der Film davon, dass Mansky seine Protagonistin für einen Augenblick Moment eben doch ungestört befragen konnte – nämlich nach ihren Lebensträumen. Es ist, als würde man ein anderes Kind vor der Kamera erleben. So gelang eine sehr berührende Momentaufnahme, die obendrein eine vielsagende Pointe liefert. Man meint, hinter dem staatlichen Verblendungszusammenhang endlich etwas Ungefiltertes und Menschliches zu entdecken.
Doch wofür steht jenes von der offiziellen Indoktrination abgekoppelte Menschliche in einem stalinistischen System wie dem Nordkoreas? „Ich wollte einen Film über das echte Leben in Nordkorea drehen, aber es gibt dort kein Leben, wie wir es kennen“, sagt Mansky. Es gebe nur eine bestimmte Vorstellung vom „richtigen Leben“ und, im Gegensatz zur Sowjetunion, in der er aufgewachsen ist, keinerlei gedankliche Opposition. Eine steile These, deren Beweis der Film aufgrund der beschränkten Perspektive schuldig bleiben muss. Manskys Bilder von einem grauen, dunklen Land, dass sich an seiner eigenen Gigantomanie berauscht, entfalten, hinterlassen allerdings einen Eindruck, der wenig Hoffnung macht.
Info:
Im Strahl der Sonne (Russland, Deutschland, Tschechien, Lettland, Nordkorea 2015), ein Film von Vitaly Mansky, Deutsch und Koreanisch mit Untertiteln, 90 Minuten. Jetzt im Kino