Das Berliner Philharmonische Orchester genoss 1933 einen guten Ruf in der Welt. Dank seines Star-Dirigenten Wilhelm Furtwängler hatte es sich als herausragendes deutsches Orchester
profiliert. Und doch stand das bis dato private Unternehmen infolge jahrelanger Misswirtschaft und der Wirtschaftskrisen der 20er Jahre vor dem finanziellen Bankrott. Joseph Goebbels erkannte, wie
gut sich die Philharmoniker für seine Propaganda
- Maschinerie im Kampf für die Vorherrschaft "deutscher Kultur" einsetzen ließen. Er kaufte das Orchester auf und benannte es in "Reichsorchester" um.
Sind Künstler käuflich?
Die Musiker, die so stolz auf ihre autarke Selbstverwaltung und Organisation waren, genossen nun zwar finanzielle Sicherheit und andere Privilegien, doch zu welchem Preis? Sie hatten in
Hitlers Auftrag zu spielen: Auf dem Parteitag in Nürnberg, zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin, später sogar in den besetzten Gebieten. Die zahlreichen Pflichtveranstaltungen
brachten ein enorm wachsendes Arbeitspensum mit sich. Die Unabhängigkeit des Orchesters ging verloren.
Das Philharmonische Orchester war trotz einiger N.S.D.A.P.-Mitglieder in seinen Reihen, sicherlich kein NS-Reichsorchester in dem Sinne, dass es auch ideologisch hinter der Partei oder dem
Regime gestanden hätte. Aber die von diesem eingeräumten Vorteile genoss es schon. Das Regime nutzte das Orchester - und das Orchester nutzte das Regime.
Neben der ohnehin guten Bezahlung gab es hohe Zuschüsse zu den Auslandstourneen. Ein Streit Joseph Goebbels mit Hermann Göring, der zeitgleich um Zulagen für "seine" Staatsoper buhlte, hatte
den Preis in die Höhe getrieben. Die Musiker waren zudem quasi doppelt vom Kriegsdienst befreit. Sie mussten weder zum Wehrdienst noch zum Volkssturm, da ihr Wirken als "kriegswichtig" galt.
Weil Goebbels den weltberühmten Dirigenten Wilhelm Furtwängler auf keinen Fall verlieren wollte, gab es weitere "großzügige Zugeständnisse". So "durften" etwa die Musiker mit jüdischen
Ehefrauen weiterhin im Ensemble verbleiben. Die jüdischen Musiker gingen bald von selbst, da sie die zunehmende antisemitische Drangsalierung in der Gesellschaft nicht mehr ertragen konnten.
Kann Kunst unpolitisch sein?
Wilhelm Furtwängler, dessen Verhältnis zum NS- Regime sehr zwiespältig war, betrachtete sich als unpolitischer Künstler. So schrieb er einmal an Goebbels, dass es bei der Auswahl der Musiker
nicht auf "arische" oder "nicht
-arische" Herkunft ankäme, sondern vielmehr auf die Qualität des jeweiligen Künstlers. Trotzdem eröffnen sich dem Leser Parallelen zu einer anderen (halb)-literarischen Figur, nämlich der des
Hendrik Höfgen von Klaus Mann.
Wilhelm Furtwängler stammte aus einem großbürgerlichen Haus. Er war es gewohnt, mit Leuten in hochrangigen Positionen zu verkehren. Nicht selten nutzte er die Verbindung zu Joseph Goebbels,
um missliebige Angestellte loszuwerden oder bestimmte Wünsche durchzusetzen.
Weil das Propagandaministerium um die Zugkraft eines Dirigenten wie Furtwängler wusste, mischte es sich wenig in die Programmgestaltung ein. Furtwängler galt ohnehin als Verehrer der
klassischen Werke des 18. und 19. Jahrhunderts, die auch dem Kunstgeschmack der NS- Oberen entsprachen. Als ihm 1934 allerdings trotz erfolgreicher Uraufführung die weitere Aufführung der Oper
"Mathis der Maler" von Paul Hindemith verboten wurde, trat Furtwängler sowohl als Chef der Philharmoniker als auch als Vizepräsident der Reichsmusikkammer zurück. Hier war etwas geschehen, das er
auf keinen Fall zu dulden bereit war: die Behörden hatten seine Entscheidung düpiert und damit auch seine Befugnisse beschnitten. Was ihm offenbar entgangen war: Bei dem Aufführungsverbot ging es
nicht um ästhetische Fragen des Kunstgeschmackes. Den Behörden passte das Thema der Oper nicht, denn hier wurde um das Verhältnis von Kunst und Freiheit zu Zeiten der Reformation und der
Bauernkriege gestritten.
Nachdem verschiedene mehr oder weniger gute Dirigenten mittels Klüngelei in Furtwänglers Position zu rutschen hofften, kehrte er 1935 zurück. Allerdings ging er keine feste Bindung zum
Orchester mehr ein. Erst 1952 unterschrieb er wieder einen Vertrag.
Zu welchem Preis kann sich Kunst aus dem politischen Leben heraushalten und ist so etwas in einer Diktatur überhaupt vorstellbar? Misha Aster stellt klar: Die Berliner Philharmoniker waren
keine unpolitische Künstlergruppe. Das Orchester wurde -und ließ sich dazu machen- zum Flaggschiff der deutschen Propaganda, zum Spielzeug eines Joseph Goebbels. All zu oft ließ es sich willfährig
von den "Erfordernissen der deutschen Musik" leiten, wenn es darum ging, missliebige Komponisten aus dem Programm zu nehmen.
Misha Asters Buch ist überfällig, auch und gerade im 125. Jubiläumsjahr des Orchesters. Aster konnte auf eine Fülle unveröffentlichten Materials zurückgreifen. Sein Buch ist gut zu lesen,
auch wenn stellenweise zu viele Details ermüden. Für Fans ist es eine wahre Fundgrube.
Maxi Hönigschmid
Misha Aster: Das Reichsorchester. Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus; Siedler Verlag, 398 Seiten, 21,95 Euro, ISBN-13: 978-3492049245
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