Wer die Grünen wirklich verstehen möchte, ist bei Jutta Ditfurth allerdings leider fehl am Platz. Denn wer schon einmal eines ihrer Bücher gelesen hat, weiß auch, was in allen folgenden stehen wird: Die Grünen von heute haben Verrat an den Grünen von damals begangen. Und die Grünen von damals sind die Grünen der Gründungsperiode bis hin zur Abwahl Ditfurths von ihrem Sprecherposten.
300 Seiten in der Wiederholungsschleife
Und damit ließe sich die Bewertung des Buches schon abschließen, nämlich als Leseempfehlung für all jene, die ohnehin schon Jutta Ditfurths Meinung sind und als Warnhinweis an diejenigen, die entweder den Grünen von damals nicht nachtrauern oder schon ein Buch der Autorin gelesen haben und keine Lust haben, knapp 300 Seiten in der Wiederholungsschleife zu verbringen.
Wohl eher unwillentlich eröffnet die Autorin eine weitere Ebene in ihrem Buch, die die Schrift dann doch lesenswert macht - allerdings aus einer ganz anderen Perspektive. Jutta Ditfurth war von 1984 bis 1989 eine der Bundesvorstandssprecherinnen der Grünen. Sie repräsentierte damit einen nicht unerheblichen Teil der damaligen Partei. Wenn sie nun die Partei von damals mit der Grünen-Partei von heute vergleicht, so eröffnet sie auch einen Einblick in die Seele der früheren Grünen-Partei und legt ganz andere Ebenen der Veränderung offen, die sie in ihrem Buch unterschlägt.
Totalitäre, antidemokratische Politiksicht
Ditfurths Sicht auf die Politik und die Politiker ist im höchsten Maße totalitär und antidemokratisch geprägt. Sie repräsentiert das, was Max Weber mit Blick auf die Syndikalisten seiner Zeit als "Gesinnungsethiker" bezeichnete: einen Mensch, der bei Entscheidungen seine eigenen Ideale über die politischen Gegebenheiten und Erfordernisse stellt. Ditfurth wirft den Grünen Verrat an ihren alten Werten vor - etwa in der Atompolitik, bei Großprojekten oder in der Friedens- und Sozialpolitik. Die Grünen seien in all diesen Politikbereichen Kompromisse eingegangen, die mit den Ansichten der Gründungsjahre brachen, Kompromisse, die die Partei spalteten und stark veränderten. Ditfurth verweigert sich dabei einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den jeweiligen Entscheidungen, da sie die Handlungsmotive der jeweiligen Entscheidungsträger vereinfacht und auf materielles und Machtstreben reduziert.
Damit vereinfacht Ditfurth ihr Urteil ungemein und scheitert an der Aufgabe, die Geschichte und die Probleme der Grünen tatsächlich aufzuarbeiten. Sie zieht es vor, ein einheitliches Bild der
Grünen zu zeichnen, im dem sich die Grünen der Gründungsgeneration und die Grünen von heute (Bündnis 90 und die Entwicklung im Osten spielen im Buch keine Rolle) als klare Gegensätze gegenüber
stehen. Diesen Gegensatz sucht sie mit einer Unmenge von Verweisen und Zitaten zu belegen, die sie sich nach Bedarf zusammengesucht hat. Die Autorin vermischt dabei die individuelle und die
parteipolitische Ebene sowie internationale, Bundes-, Landes und Kommunalpolitik, um ein einheitliches Bild der Grünen zeichnen zu können, das ihrer eigenen Sicht auf die Dinge entspricht. Diese
ist geprägt von dem selbst und mit Wohlgefallen gewählten Platz im Schmollwinkel der Systemopposition, in dem sie sich aller Realitätsänderungen seit 1989 mit Erfolg verweigern konnte. Wohl eher
unwillentlich eröffnet die Autorin hier eine weitere Ebene in ihrem Buch.
Jutta Ditfurth war von 1984 bis 1989 eine der Bundesvorstandssprecherinnen der Grünen. Sie repräsentierte damit einen nicht unerheblichen Teil der damaligen Partei. Wenn sie nun die Partei
von früher als den Maßstab nimmt, mit dem sie die heutige Partei misst, erlaubt sie es dem kritischen Leser auch, den Spieß umzudrehen. Interessant wird die Lektüre nämlich dann, wenn man
Ditfurths Partei an der heutigen Partei misst. Dieser Ansatz eröffnet eine Analyseebene, derer Ditfurth sich wohl selbst nicht bewusst ist, die aber eben das Buch für den Leser im Heute erst
lesenswert macht.
Regierung statt Opposition
Mit dieser Perspektive tritt eine wesentliche Grundeinstellung hervor, die die Grünen damals lange in die Opposition verbannte, nämlich die Weigerung, die eigenen Überzeugungen auch zu hinterfragen und in einen offenen Dialog mit der gesellschaftlichen Realität zu treten. Ditfurth sieht sich als Wahrerin des Wissens und der Wahrheit, weshalb sie sich nicht an die Welt, sondern die Welt an sie anpassen muss. Regierung kommt somit nur in dem Fall für sie in Frage, wenn sie dadurch dieFähigkeit hat, die gesellschaftliche Realität ihren Vorstellungen anzupassen. Dieses totalitäre, dogmatische Denken ist mit einer Demokratie, in der Politik durch Kompromisse gemacht wird, natürlich nicht vereinbar.
Somit zeigt das Buch nur, inwieweit die Grünen seit dem Abgang Ditfurths zu einer Partei wurden, die nicht nur im Parlament sitzt, sondern auch Teil der konstitutionellen Grundordnung und willens ist, auf dieser Grundlage Verantwortung zu übernehmen, wie jetzt in Baden-Württemberg.
Jutta Ditfurth: "Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen", Rotbuch Verlag, Berlin 2011,
288 Seiten, 14,95 Euro,
ISBN 978-3-86789-125-7