Im Irrgarten der Strippenzieher
Die Verschwörungstheorie ist so bekannt wie einladend: Der Journalismus geht – nicht nur in Deutschland – den Bach runter. Und die PR-Agenturen und Strippenzieher triumphieren im Zeichen des Lobbyismus. Keine guten Aussichten in einer Zeit,wo die Wahrnehmung der Welt vor allem durch die Medien geprägt ist: Wo hört eine legitime Vertretung von Interessen auf und ab welchem Punkt werden demokratische Grundprinzipien verletzt? Und was bedeutet das für jene, die gegen den Strom schwimmen, weil sie sich allein der Wahrheit verpflichtet fühlen? Christoph Häuslers Film „Die Lügen der Sieger“ stößt uns mitten hinein in ein Meer aus Intrigen und Eitelkeiten, für das die politischen und journalistische Hauptstadtszene steht.
Der Reporter Fabian Groys brennt für die investigativen Geschichten, die er in dem Magazin „Die Woche“ veröffentlicht. Sein Spezialgebiet: Der Umgang der Bundeswehr mit ihren Invaliden aus Auslandseinsätzen. Kaum aus Afghanistan zurück, stellt ihm sein Chef die Praktikantin Nadja Koltes zur Seite. Herablassend lässt er sie einen Selbstmord im Zoo von Gelsenkirchen recherchieren. Als alles auf eine Verbindung zur Bundeswehr hindeutet, wittert er eine Enthüllungsgeschichte und rauft sich mit seiner jungen Kollegin zusammen.
Zug um Zug decken sie Parallelen zu einem weiteren Todesfall und andere Hintergründe auf. Doch der vermeintliche Scoop auf der Titelseite erweist sich als Ente. Irgendjemand hat Groys die ganze Zeit lang beobachtet und manipuliert, um etwas ganz anderes zu verschleiern. Weder ihm noch dem Zuschauer wird so richtig klar, in welcher Gefahr der Journalist nunmehr schwebt und was noch auf ihn zukommt. Erste düstere Schatten ziehen herauf.
In die Irre geführt
Regisseur und Co-Drehbuchautor Christoph Hochhäusler macht es dem Publikum nicht leicht: Zunächst meint man, dass mit dem wachsenden Rechecheertrag von Groys und Koltes auch der eigene Überblick zunimmt. Doch immer wieder werden wir in die Irre geführt. Während sich die Rechercheure ihrer Sache in der einen Szene ziemlich sicher sind, folgt die Kamera in der anderen ein paar todernsten und kurz angebundenen Gestalten, die in einem kargen Büro im Insiderjargon immer wieder den gleichen, wenn auch schwer zu entschlüsselnden Plan durchgehen. Schwer zu sagen, was das alles mit der Titelgeschichte in der „Woche“ zu tun haben soll. Doch das ominöse Trio scheint gegen das aufrechte Duo zu arbeiten und ihnen immer einen Schritt voraus zu sein. Am Ende wird Groys vom Protagonisten zum Exempel.
Auch zahlreiche ästhetische und dramaturgische Details hinterlassen Fragen und hemmen oftmals den Erzählfluss. Was angesichts von Hochhäuslers Vita allerdings nur bedingt verwundert. Entstammen Produktionen wie „Milchwald“ (2003) oder „Unter Dir die Stadt“ doch einer künstlerischen Richtung, der einst das Etikett „Berliner Schule“ anhing. Dieser wurde nachgesagt, sie würde lieber Stimmungen durchdeklinieren, anstatt wirklich zu erzählen. „Es geht mir nicht um Realismus, aber durchaus um die Auseinandersetzung mit Wirklichkeit“, sagt der 1972 geborene Filmemacher über sein äußerst komplexes Werk. „Man könnte sagen, es geht
mir um Verführung zur Aufmerksamkeit.“ Letztlich will er zeigen, wie weit mächtige Interessengruppen gehen, um zu bestimmen,was wir wissen und was nicht.
Sozial komplett unfähig
Ein ehrenwertes Ziel. Inwiefern die Zuschauer ihm auf diesem Pfad bereits beim ersten Durchlauf folgen können, ist allerdings fraglich. Die Fülle an Intentionen und Fallstricken, mit denen „Die Lügen der Sieger“ drappiert wurde, verdichten sich zu einem Knäuel, das nur schwer zu entwirren ist. Einerseits versuchte sich Hochhäulser am Genre des (Polit-)Thrillers mit all seinen Klischees. Andererseits bricht der Film mit vielen Stereotypen und Erwartungen. Anfangs gibt Hauptdarsteller Florian David Fitz das für das deutsche Kino typische Abziehbild des alten Journalistenhasen, der für eine Top-Geschichte alles tut, als machohafter Einzelgänger aber sozial komplett unfähig ist. Seine Freizeit verbringt der sportliche Typ am liebsten in seinem alten Porsche oder illegalen Casinos.
Andererseits lernen wir auch seine verletzlichen Seiten kennen und wandern mit ihm zwischen Traumwelten und Realität umher. Bei den Dialogen schwenkt die Kamera quer durch den Raum, anstatt bei den Gesprächspartnern zu bleiben, die häufig durch milchige Glasscheiben hindurch zu sehen sind. Manch dramaturgischer Nebenarm bleibt unvollendet. Immer wieder endet die Kommunikation mit einer Leerstelle. Das Konzept, im Publikum Verwirrung zu stiften und so die Nöte von Groys und Koltes nacherlebbar zu machen, geht auf. Dazu passt, dass die unwirtliche und abweisende, aber stellenweise auch hedonistische Szenerie zunehmend selbst zum Akteur wird.
Fazit: „Die Lügen der Sieger“ malt in gleichsam dynamischer wie verschachtelter Erzählweise ein beunruhigendes Bild davon, welchen Risiken eine gewachsene demokratische Öffentlichkeit heutzutage ausgesetzt ist. Und wie schnell deren Verteidiger zum Spielzeug werden können.
Info: Die Lügen der Sieger (Deutschland 2015), ein Film von Christoph Hochhäusler, mit Florian David Fitz, Lilith Stangenberg, Ursina Lardi u.a., 112 Minuten. Ab sofort im Kino