Kultur

Im Bett mit der Herrenrasse

von ohne Autor · 21. September 2014

Zugegeben, wer sich zum ersten Mal mit dem Grundplot von „Ende der Schonzeit“ befasst, hört sämtliche Alarmglocken schrillen: Ein impotenter Bauer nimmt mitten im Krieg einen entflohenen Juden auf und zwingt ihn, mit seiner Frau einen „Stammhalter“ zu zeugen.

Kann diese ins Extreme getriebene Konstellation der Hintergrund für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage sein, was politisch eher unbedarfte Menschen zur Willkür gegenüber jenen verleitet, die ein Regime zum Freiwild erklärt hat? Doch die Geschichte, die Regisseurin Franziska Schlotterer erzählt, hat mehr mit der historischen Realität zu tun, als viele glauben. Es gab tatsächlich etliche Deutsche, die Juden vor der Gaskammer bewahrten, indem sie sie bei sich versteckten. Und zwar nicht immer aus reiner Mitmenschlichkeit. Viele ließen sich dafür bezahlen. Schlotterer erfuhr von einem Fall, der ihrem Film als Vorbild diente: Ein Landwirt zwingt einen untergetauchten Juden, seiner Frau ein Kind zu machen. Als er ihn nicht mehr braucht, verrät er den Mann an die Behörden.

So etwas sieht man auch bei „Ende der Schonzeit“ kommen. Doch der Clou dieses Films besteht darin, derlei Erwartungen in die Irre laufen zu lassen. Dennoch nimmt das zeitweilige Zusammenleben der Bauersleute mit dem flüchtigen Juden kein gutes Ende.

Hinter den Wipfeln

Irgendwo im Schwarzwald, kurz vor der Morgendämmerung, trifft Bauer Fritz (Hans-Jochen Wagner) auf Albert (Christian Friedel), der über die Grenze will. Spontan und aus Mitgefühl bietet er dem Juden einen Unterschlupf an. Seine Frau Emma (Brigitte Hobmeier) ist davon wenig begeistert – nicht zuletzt aus Angst, erwischt zu werden. Hinter dem Meer von Baumwipfeln, die den abgelegenen Hof umgeben, ist der Rest der Welt allenfalls zu erahnen. Wenn nicht der neugierige Ultra-Nazi aus dem Dorf wäre, der immer wieder unangemeldet auftaucht.

Außerdem trägt das Paar ohnehin schon eine schwere Last: Emma und Fritz können keine Kinder bekommen. Das macht den Gatten zum Gespött am Stammtisch. Albert packt auf dem Hof gut mit an. Warum soll er nicht auch für den langersehnten Nachwuchs sorgen? „Wenn eine Kuh kalben soll, führe ich sie zum Stier“, sagt Fritz dem schockierten Schützling, der sich nach heftiger Gegenwehr schließlich fügt. Auch Emma überwindet ihre Ablehnung. Und nicht nur das: Zum ersten Mal entdeckt und genießt sie ihre Sexualität, überhaupt ihre Sinnlichkeit. Mit jedem Akt gewinnt Emma an Selbstbewusstsein. So eine Erfahrung gibt man nicht wieder her. Auch dann nicht, als der eigentliche „Auftrag“ erfüllt ist und Fritz endlich erhobenen Hauptes ins Wirtshaus spazieren kann, wenngleich ihn seine Eifersucht rasend macht. Damit stürzt Emma das Trio, aus dem unverhofft eine Dreiecksbeziehung geworden ist, ins Verderben. Albert fliegt auf und landet in Auschwitz. Doch damit ist die Geschichte von Willkür und Rache, die diese drei Menschen verbindet, noch lange nicht am Ende.

Wie im Heimatfilm

Der Film ist immer dann am stärksten, wenn er sich ganz auf die abgeschlossene Welt von Emma, Albert und Fritz konzentriert. Erinnern die langen Einstellungen mit Wald, Vieh und Feldarbeit zunächst eher an einen Heimatfilm, bricht sich die düstere Seite dieser Hofgemeinschaft zunehmend Bahn – nicht nur, aber auch im Bewusstsein der ständigen Bedrohung von außen. Oft meint man, Handlungen und Verhaltensweisen der Hauptfiguren vorausahnen zu können. Und erlebt doch ein böses Erwachen. Die Protagonisten bewahren sich eine durchgehende Doppelbödigkeit und Unberechenbarkeit: Kann ein Mann, der schon rein optisch sämtliche Klischees eines herrischen Trampels erfüllt und seine Frau wie ein Stück Vieh behandelt, auch sensible, wenn nicht gar depressive Züge haben? Wenn Fritz vor der Schlafzimmertür kauert, um dem Beischlaf dahinter zu lauschen, ist alles gesagt. Wie weit geht ein untergetauchter Jude, um seine Autonomie und Würde zu bewahren? Und wie viel von der duldsamen Bauersfrau steckt noch in der selbstsüchtigen Gespielin?

Manchmal wissen auch Emma, Albert und Fritz nicht so recht, wohin sie steuern. Ihnen dabei zuzusehen, ist schlichtweg fesselnd. Schlotterer verließ sich dabei ganz auf Gestik und Mimik der brillanten Hauptdarsteller. Die kargen und knappen Dialoge tragen wenig zu diesem intensiven Kammerspiel von beeindruckender psychologischer Tiefenschärfe bei.

Umso störender ist es, wenn Schlotterer den Fokus erweitert. Das gilt weniger für die mitunter etwas hölzernen bis folkloristischen Einblicke in das Schwarzwälder Dorfleben der 40er-Jahre. Es ist vor allem die Rahmenhandlung, deren Anfang und Ende in einem israelischen Kibbuz liegen. Dort trifft Emmas Sohn auf seinen, nun ja, Erzeuger. Um die Traumata der Nachfahren zu zeigen, wird ein versöhnlicher, fast schon belehrender Schlusspunkt gesetzt. Schlotterer hätte lieber jene Situationen, in denen es keine Versöhnung geben kann, für sich stehen lassen sollen.

Info: Ende der Schonzeit (D/IL 2012), ein Film von Franziska Schlotterer, mit Brigitte Hobmeier, Hans-Jochen Wagner, Christian Friedel u.a., 99 Minuten. Ab sofort im Kino.

Zum Trailer

0 Kommentare
Noch keine Kommentare