Kultur

„Il Traditore“: Ein Aussteiger im Kampf gegen die sizilianische Mafia

Ohne ihn wären die großen Mafia-Prozesse Italiens in den 80er-Jahren undenkbar gewesen: Tommaso Buscetta war der erste hochrangige Mafioso, der über die Cosa Nostra auspackte. Das Drama „Il Traditore“ verfolgt seinen Weg vom Gangster zum Kronzeugen.
von ohne Autor · 27. November 2020
Trügerische Idylle: Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino) im Kreise seiner Lieben.
Trügerische Idylle: Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino) im Kreise seiner Lieben.

Nachdem die Ehrenmänner den boomenden Heroinhandel in Sizilien unter sich aufgeteilt haben, versammeln sie sich mit ihren Frauen und Kindern zum gemeinsamen Foto. Alles erinnert an ein Fest unter lieben Verwandten. Es vergeht nur wenig Zeit, bis ein blutiger Krieg zwischen den rivalisierenden Familien tobt.

Mit auf dem Foto ist Tommaso Buscetta. Ein paar Jahre später wird er als Kronzeuge dafür sorgen, dass nicht nur die Verantwortlichen jenes Massakers, sondern insgesamt mehr als 300 Angehörige der Cosa Nostra hinter Gitter wandern. Die Gerichtsverhandlungen, die diesen bedeutenden Schlag der italienischen Justiz gegen das Organisierte Verbrechen ermöglichten, machen als „Maxi-Prozesse“ Geschichte. Dabei geht es auch um die Verbindungen von Spitzenpolitiker*innen zur Mafia.

Die Gier der Clans kennt keine Grenzen 

Anfang der 1980er-Jahre setzt die Handlung des Films ein. Nichts scheint das idyllische Dasein der versammelten Oberen der Cosa Nostra stören zu können. Dem soeben aus dem Gefängnis entkommenen Buscetta ist diese Sphäre bereits suspekt geworden. Er sieht sich als Ehrenmann, doch vielen sizilianischen Clans, die über Leben und Tod herrschen, haben ihre Ehre gemäß seinem Weltbild längst verloren. Zu groß ist die Gier, zu rücksichtslos das Töten. Vielleicht ahnt er, was kommt. Um aus der Schusslinie zu geraten, geht er mit seiner Familie nach Brasilien. Ein paar Jahre später liefern ihn die Behörden nach Italien aus.

Im Breitbildformat erzählt der italienische Regisseur Marco Bellocchio („Buongiorno, notte – Der Fall Aldo Moro“) das Leben Buscettas. Das Leben eines Mannes, der kein Verräter (Traditore) sein will und aus seiner Sicht auch gar nicht sein kann, weil sich die Kreise, denen er als Heranwachsender beitrat und ein Schweigegelübde ablegte, längst selbst verraten haben.

Eine Mafia-Welt ohne Glanz

Diese Welt hat für ihn schon lange jeglichen Glanz verloren. Und genau so ein glanzloses Bild zeichnet der Film weitgehend von der Cosa Nostra. Anstelle von Reichtum, Rausch und Protz sehen wir Männer in grauen Jacken vor ebenso unauffälligen Fassaden. Buscetta selbst – in der Mafia-Hierarchie nur ein Soldat, tatsächlich aber von großem Einfluss – macht einen abgeklärten und kontrollierten Eindruck. Dass die Bilder meist mit natürlich anmutendem Licht auskommen, unterstreicht den Eindruck der Alltäglichkeit. Und gerade diese Alltäglichkeit macht das Geschehen oft so beunruhigend.

Diese weniger auf Effekte, sondern einen eindringlichen Realismus setzende Ästhetik wird auch dann beibehalten, als die Geschichte zu einem grotesken Schauspiel wird. Nämlich ab dem Zeitpunkt, als Buscetta vor Gericht erscheint und die anwesenden Mafiosi schwer belastet. Die lassen nichts unversucht, um die Verhandlung ins Lächerliche zu ziehen und zu stören. Es ist ja auch zu komisch, dass ihr alter Kumpel mit dem umoperiertem Gesicht nun auf der anderen Seite sitzt. 

Dieser hatte zuvor den Richter Giovanni Falcone mit wertvollen Details über die Struktur, die Methoden und die Codes der Cosa Nostra, deren Arm schon damals weit über Sizilien hinausreichte, versorgt. Falcone und seine Frau sterben 1992 bei einem Attentat. Auch für Buscetta ist die Todesangst ein ständiger Begleiter.

Blick hinter die Fassade realer Ereignisse

Der Film folgt dem Gang der Dinge nur bedingt linear. Rückblenden liefern immer wieder Schlaglichter und Zäsuren aus dem Leben Buscettas und seiner nunmehrigen Todfeinde. Sparsam, aber umso wirkungsvoller tritt darin jene brutale Gewalt zutage, die letztlich die Grundlage des Geschäftsmodells der Mafia bildet.

Über weite Strecken zeichnet Bellochio ein freundliches, wenn nicht gar elegantes Bild seines mutigen, bis zu einem gewissen Grad reflektierten und eloquenten Protagonisten. Fast könnte man meinen, der Regisseur wäre der Selbstinszenierung dieses „Edelmannes“ aufgesessen. Erst im Blick zurück wird das Bild von Buscetta komplett. 

Vieles von dem, was in „Il Traditore“ zu sehen ist, beruht auf Fakten. Der Reiz besteht darin, hinter die Fassade der Geschehnisse zu blicken, die zwischen 1984 und 1992 nicht nur in Italien für Aufsehen sorgten. Mag das Drehbuch auch zu sehr Buscettas Perspektive folgen, so sorgen vor allem die hervorragenden Darsteller*innen – allen voran der äußerst wandlungsfähige Pierfrancesco Favino in der Hauptrolle – dafür, dass dieses einen intensiven Eindruck hinterlässt.

Info: „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“ (Italien/ Frankreich/ Deutschland/ Brasilien 2019), Regie: Marco Bellocchio, Drehbuch: Marco Bellocchio, Ludovica Rampoldi, Valia Santella, Francesco Piccolo, mit Pierfrancesco Favino, Maria Fernanda Candido, Fabrizio Ferracane u.a., 153 Minuten, FSK ab zwölf Jahre.

Jetzt als DVD, Blu-ray und Video on Demand

0 Kommentare
Noch keine Kommentare