Von "Jammer-Ossis" und "Besser-Wessis"
Weniger als einen Monat vor dem Tag der Deutschen Einheit, machte der Theologe Friedrich Schorlemmer sich Gedanken darüber, wie es um die innere Einheit bestellt sei. Ein Rednerpult mit
DDR-Flagge und Zeitungsseite vom "Neuen Deutschland", ein zweites mit Bundesflagge und "FAZ"-Seite: Als "Ossi" und "Wessi" in Personalunion holte der gebürtige Ostdeutsche von beiden Pulten zur
Beschimpfung aus. Genau genommen habe er das Thema satt, erklärte der ehemalige Aktivist der DDR-Opposition. - Aber es sei nunmal da.
Und so widmete sich Friedrich Schorlemmer mit großem Ernst, dennoch nicht ohne Komik, alten Klischees, die Ost und West bis heute entzweien. Er sprach von "Jammer-Ossis" und "Besser-Wessis".
Schmerz, so Schorlemmer, habe ein langes Gedächtnis - Beleidigungen haben ein noch viel längeres.
Über Honeckers Maurer
"Honecker baute die Mauer. Hatte er nicht einen Maurer bei sich?" So spottete Schorlemmers Westdeutscher und bezeichnete die Ostdeutschen als ein Volk von Mitläufern. Was, so der "Ossi", für
den leicht daher zu sagen sei, der nicht in der DDR lebte - aber schon mit schweißnassen Händen von seinen Grenzerlebnissen erzähle.
Und reisen durften sie, die Westdeutschen - wohin sie wollten. Wenn der Ostdeutsche dann mal ans Schwarze Meer fuhr waren sie schon da: die Bundesbürger mit ihrer harten Währung. Darauf
hingegen, dass es tatsächlich zur Einheit kommen könnte, wäre der Westen nicht vorbereitet gewesen, schimpfte der von Schorlemmer verkörperte "Ossi". Und als es doch dazu kam, "habt Ihr das als
pure Selbstbestätigung Eures Systems genutzt." So verführerisch die Westwährung und die Konsummöglichkeiten waren: der Sozialismus sei für viele Ostdeutsche ein Hoffnungswort gewesen. "Und die
waren nicht alle doof. Und die waren nicht alle Verbrecher", erläuterte der Ostdeutsche.
Schorlemmer thematisierte aktuelle Brennpunkte: Etwa die Kosten der Wiedervereinigung - vergessen werde da allerdings, dass e neuen Bundesländer als Konsumenten hinzukamen und das sie auch
etwas mitbrachten. Der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels sprach von der Abwicklung erfolgreicher Ostfirmen wie "Orwo", die so keine Konkurrenz mehr waren. Und er redete darüber,
wie der Osten unter der Abwanderung leide, die für den Westen der "Jungbrunnen Osten" war und ist.
Vom Goldenen Westen und grauen Osten
"Euch stand die Welt offen - wir waren eingemauert. Ihr ward der Goldene Westen - wir der graue Osten", erklärte Schorlemmer als "Ossi". Und fand bei allem Trennenden doch noch
Gemeinsamkeiten: "Ihr wart westorientiert - wir auch."
Es sei an der Zeit für gegenseitiges Verständnis und für Erinnerung ohne Verklärung. Auch wenn Schorlemmer davon ausging, dass das Trennende so lange bleibe, wie die Trennung gedauert habe:
Gemeinsame Probleme jedoch - etwa das der Neonazis - müssten endlich gemeinsam gelöst werden, statt die Schuld dafür auf der anderen Seite zu suchen.
Der Abend war spannend. Zurück blieb Nachdenklichkeit - ein guter Ausgangspunkt für Verständnis und Verständigung. So gesehen wäre es schön, wenn es "Ost-West-Beschimpfungen" häufiger gäbe.
Birgit Güll
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