Enthüllungen
Ditfurth verfolgt Meinofs Leben von ihrer Geburt 1934 in Oldenburg bis zu ihrem Tod 1976 in Stuttgart-Stammheim. Dabei enthüllt sie Details, die vorher nicht bekannt waren oder anders
dargestellt wurden. Wie sie in einer Familie aufwächst, in der evangelische Christen mit dem Faschismus der Nationalsozialisten paktieren. Ihr Vater, Werner Meinhof, ein engagiertes Mitglied der
NSDAP, war maßgeblich an der Ausstellung "Entartete Kunst" im Jahre 1937 beteiligt. Auch Meinhofs Pflegemutter, Renate Riemeck, hat keineswegs gegen die NS-Bewegung gearbeitet, sondern war - ganz
im Gegenteil - tief in sie verstrickt. Unter dem Nazi-Regime machte sie eine steile Universitätskarriere.
Von der Atomwaffengegnerin zur Staatsfeindin
Die Ära Adenauer prägt Ulrike Meinhof. In dieser Zeit wird die junge Studentin der Pädagogik, Germanistik, Psychologie und Kunstgeschichte zur Atomwaffengegnerin und tritt dem Sozialistischen
Deutschen Studentenbund (SDS) bei. Mit scharfen politischen Analysen erregt sie als Rundfunk- und Fernsehjournalistin Aufsehen. Sie engagiert sich für Heimkinder, Industriearbeiterinnen und
Arbeitsmigranten, Sie dreht sogar einen Film über Heimkinder, der jedoch nie gezeigt wird.
Berühmt wird sie durch ihr redaktionelles Engagement bei der linken Zeitschrift "konkret". Sie schreibt gegen die Politik Adenauers, gegen Nazis und gegen das Verdrängen und Vergessen. So
gewinnt sie an Einfluss in der linken bürgerlichen Öffentlichkeit. Sie setzt sich für die Frauenbewegung ein und ist Vordenkerin der außerparlamentarischen Opposition. Leider ist dieses vielfältige
Engagement in den Hintergrund geraten. Heute sieht man nur die Terroristin.
Die Annahme, Ulrike Meinhof sei "einfach so" in den Terrorismus hineingerutscht, akzeptiert Ditfurth nicht. Sie findet heraus, dass Meinhof schon ein Jahr vor der Entführung von Andreas
Baader an Anschlägen im Hamburger Hafen beteiligt war. Diese Tatsache widerlege, dass Meinhof eher zufällig in die Befreiungsaktion geraten sei.
Langjährige Recherche
Insgesamt sechs Jahre hat die ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen für die Biografie recherchiert. Dabei stieß sie auf bisher unbekannte Quellen. Sie reiste in jede Stadt, jeden Ort, wo
Ulrike Meinhof gewohnt hat, sprach mit Nachbarn und Freunden. Ihr Ziel: "Ich wollte wissen, wie sie tickt." Auf 479 Seiten zeichnet die Autorin Meinhofs Leben akribisch und genau nach, als ob sie
sie jeden Tag begleitet hätte. Trotz dieser erzählerischen Nähe wahrt sie genügend Distanz zur späteren Terroristin.
Gleichzeitig ist das Buch eine Rekonstruktion der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. In ihm spiegeln sich sowohl die jugendliche Subkulturen der 1950er Jahre als auch das
politisch-rebellische Klima der 60er und 70er Jahre.
"Ich habe den Menschen Ulrike Meinhof einfach besser kennen gelernt", lautet das Fazit Ditfurths. Wer sich durch die vielen Seiten durchkämpft, kommt zu demselben Ergebnis. Die Klischees, die
mit Ulrike Meinhof verbunden sind, relativieren sich. Sie weichen dem Entsetzen, dass diese talentierte junge Frau und liebevolle Mutter zur Terroristin wurde.
Mamke Kühl
Ditfurth, Jutta: Ulrike Meinhof. Die Biografie. Ullstein-Verlag, Berlin 2007. 479 Seiten, 22,90 €, ISBN: 978-3-550-08728-8
0
Kommentare
Noch keine Kommentare