"Schon als Kind jagte ich zusammen mit meinen Brüdern Schlangen". Mit diesen Worten beginnen die Memoiren Del Pontes und bis heute hat sie die Jagd nicht aufgegeben. Im September 1999 wurde
Del Ponte als Nachfolgerin von Louise Arbour Chefanklägerin des Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, zuständig für die Verfolgung schwerer Verbrechen während des Jugoslawienkriegs, sowie des
Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda, eingerichtet für die Aufklärung des Völkermords in Ruanda. Der Posten verlangte von ihr, sich der Realität von Völkermorden und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit zu stellen. Aber immer wenn sie frustriert war, so del Ponte, habe der Gedanke an die Opfer sie vorangetrieben und zum Weitermachen bewegt.
"Carlita la pesta"
Carla Del Ponte wurde 1947 in Bignasco/ Tessin geboren und studierte internationales Recht in Bern, an der Universität Genf und in Großbritannien. 1981 wurde sie Staatsanwältin des Kantons
Tessin. Ihrem kompromisslosen Vorgehen gegen Geldwäsche und Wirtschaftskriminalität verdankt sie den Spitznamen "Carlita la pesta". Seit 2008 ist sie Botschafterin der Schweiz in Argentinien.
In Ihrem Buch lässt sie ihre Zeit beim Jugoslawien- und Ruanda-Tribunal Revue passieren. Sie berichtet über die Überstellung des wegen Völkermords angeklagten jugoslawischen, später
serbischen Präsidenten Slobodan Miloševićs nach Den Haag und dessen Prozess, über die vergeblichen Mühen, General Ratko Mladić zu fassen, der in Bosnien Kriegsverbrechen beging, über die Prozesse
gegen Oberst Théoneste Bagosora, einen der führenden Planer des Völkermords in Ruanda, und andere genocidaires sowie über die Suche nach Ante Gotovina, der während des Kroatienkrieges als General
der Kroatischen Armee Kriegsverbrechen gegen Serben befohlen hatte. Offen schildert sie ihren Kampf gegen die Mühlen der Bürokratie und gegen Gegner im Vatikan und in den eigenen Reihen des
Tribunals. Sie räumt ein, dass das Tribunal von Anfang an "mit Mängeln behaftet" war. Aber auch mit sich selbst geht Del Ponte ins Gericht und gibt eigene Fehler zu.
"Mehr Schwarz und Weiß als Grautöne"
Del Pontes Buch wurde äußerst kontrovers diskutiert und von verschiedenen Seiten stark kritisiert. Besonders ihre Äußerungen, die Kosovo-Befreiungsarme UÇK habe im Sommer 1999 zirka 3000
Serben verschleppt und ihnen Organe entnommen, um diese weiter zu verkaufen, sorgte für Wirbel. Del Ponte behauptet, es habe genügend Beweise für eine Anklage gegeben, aber diese seien im "Keim
erstickt worden". Am heftigsten wurde im Kosovo und in Kroatien auf das Buch reagiert.
Auch Schweizer Politiker griffen Del Ponte an. Sie forderten ihren Rücktritt, weil sie mit ihrem Buch das Gebot der Unparteilichkeit, dem sie als Diplomatin unterliegt, verletzt habe.
Zudem kritisieren sie, dass die Rolle der Staaten, die das UN-Tribunal gegründet haben und wesentlich am Krieg beteiligt waren, zu wenig beleuchtet würde und Del Ponte eine einseitige Position
gegen Serbien vertrete. Del Ponte selbst schreibt in ihrem Buch, dass "nach einem Vierteljahrhundert als Anklägerin" ihre Augen "mehr Schwarz und Weiß als Grautöne" sehen.
"Wenn den Opfern jemals Gerechtigkeit widerfahren soll..."
Carla Del Ponte polarisiert ohne Frage. Aber sie ist eine außergewöhnliche Frau und ihre Schlussworte offenbaren ihre Anstrengungen und den Preis, den zu zahlen sie bereit ist: "Wenn den
Opfern so schwerer Verbrechen jemals Gerechtigkeit widerfahren, wenn es der Menschheit jemals gelingen soll, kriminelle Gewalt dieser Größenordung einzudämmen, dann erfordert dies eine
Risikobereitschaft, einen Willen und Anstrengungen, die größer sein müssen als die Risikobereitschaft, der Willen und die Anstrengungen, die die schlimmsten Verbrecher unter uns aufbringen, jene,
die glauben, über dem Gesetz zu stehen."
Um dem Leser die geografischen, geschichtlichen und personellen Gegebenheiten näher zu bringen und zu veranschaulichen, befinden sich im Anhang des Buches sehr nützliche Karten, Diagramme
und Personenregister.
Katarina Günther
Carla Del Ponte mit Chuck Sudetic: "Im Namen der Anklage. Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit", S. Fischer Verlag, 2009, 517 Seiten, 22,95 Euro, ISBN
978-3-10-013911-5
Hier bestellen...
ist promovierte Rechtswissenschaftlerin und Journalistin. Ihre Schwerpunkte sind juristische und steuerrechtliche Themen.