1948 im besetzten Wien lernen Ingeborg Bachmann und Paul Celan einander kennen. Ihr familiärer Hintergrund könnte kaum unterschiedlicher sein: Der in Czernowitz geborene Jude überlebte die Shoah in einem rumänischen Arbeitslager. Seine Eltern wurden in einem Konzentrationslager ermordet. Die sechs Jahre jüngere Ingeborg Bachmann dagegen ist die Tochter eines österreichischen NSDAP-Mitgliedes.
"Du bist der Lebensgrund"
Und doch verlieben sie sich ineinander: Die angehende Schriftstellerin und Philosophiestudentin Ingeborg Bachmann und der Dichter Paul Celan, dessen "Todesfuge" bereits 1947 erschienen war. Die Beziehung ist geprägt von der konträren Herkunft. Und von der Schwierigkeit des Schreibens nach Auschwitz: Als Zeuge der Vernichtung, als jüdischer Lyriker schreibt Paul Celan für deutschsprachige Leser. Nur wenige Wochen verbringen die beiden miteinander, denn Celan ist nur auf der Durchreise in Wien.
Doch ihre Begegnung ist zentral für die beiden Dichter. "Du bist der Lebensgrund, auch deshalb, weil Du die Rechtfertigung meines Sprechens bist und bleibst", schreibt Celan an Bachmann. Für sie ist der Lyriker, der Überlebende, ein neuer Anstoß. Er beeinflusst ihre stetige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, mit ihrer eigenen Herkunft und ihren Kampf gegen das Vergessen der Shoah. Zeitlebens wird Bachmann hinter Celans Werk stehen und ihn unterstützen, wo sie kann.
"Lass uns die Worte finden"
Die Briefe, welche die beiden zwischen 1948 und 1967 austauschen, spiegeln die jeweiligen Lebensphasen und Umbrüche im Leben wider. Vielfach ist die Korrespondenz aufgrund von Missverständnissen und persönlichen Schwierigkeiten unterbrochen. Die Phasen des Schweigens sind manchmal von beiden Seiten gewollt, häufig aber auch einseitig, und vom jeweils anderen als unerträglich empfunden. Bachmann schreibt über "Einbrüche von Schweigen, ein Ausbleiben von den einfachsten Reaktionen, etwas, das mich hilflos macht, weil ich nur Vermutungen anstellen kann, in denen ich mich verirren muss ..."
Beide Anläufe zu einer Liebesbeziehung scheitern schnell. Aber die Dichter gehen immer wieder aufeinander zu, wollen eine Freundschaft und suchen Wege aus der Sprachlosigkeit: "Versuche es, schreib mir, frag mich, schreib Dir alles weg, was auf Dir liegt! Ich bin sehr bei Dir", so Ingeborg Bachmann. Und ein anderes Mal flehentlich "lass uns die Worte finden". Paul Celan schreibt: "Und wenn's nur ein paar Worte sind, alla breve, ein Brief, einmal im Monat: das Herz wird zu leben wissen."
Bisweilen dehnt sich der Briefwechsel auch auf die neuen Partner aus: Paul Celan ist seit 1952 mit Gisèle de Lestrange verheiratet, Ingeborg Bachmann lebt zwischen 1958 und 1962 mit Max Frisch zusammen. Die Korrespondenz zwischen Frisch und Celan sowie die Briefe, die Bachmann mit Gisèsle Celan-Lestrange austauscht, ergänzen den Band "Herzzeit". Bisweilen ist in ihnen zu lesen, was Celan und Bachmann einander nicht mitteilen konnten.
"Er war mein Leben"
Die verleumderischen Plagiatsvorwürfe der so genannten Goll-Affäre stürzen Celan in eine existenzbedrohende Krise. Seine massiven psychischen Probleme beenden 1961 auch den Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann. 1970 begeht der Lyriker Selbstmord in der Seine. "Mein Leben ist zu Ende, denn er ist auf dem Transport im Fluss ertrunken, er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben", schreibt Ingeborg Bachmann in ihrem Roman "Malina".
"Herzzeit" - der Titel ist einem Celan-Gedicht entlehnt - dokumentiert eine bewegende Beziehung. Die Briefe der beiden Schriftsteller erzählen vom Versuch einer Liebe nach Auschwitz, vom Dichten nach der Shoah und von der Selbstfindung als Schriftsteller. Sie spiegeln das "Ringen um Sprache, das Hadern mit dem Wort", wie es in einem der Nachworte des Buches heißt. Diese runden, gemeinsam mit einer Zeittafel und umfangreichen Stellenkommentaren zu den Briefen, den unbedingt lesenswerten Band ab.
Ingeborg Bachmann - Paul Celan: "Herzzeit. Briefwechsel", herausgegeben von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll, Barbara Wiedemann, Suhrkamp Verlag, 2008, 398 Seiten, 24,80 Euro, ISBN 978-3-518-42033-1
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.