Kultur

„Ich bin Anastasia“: Eine Transfrau kommandiert Bundeswehr-Soldaten

Zwischen Fahneneid und Christopher Street Day: Thomas Ladenburgers berührender Dokumentarfilm zeichnet nach, wie aus dem Soldaten Marc die Kommandeurin Anastasia wurde.
von ohne Autor · 26. November 2019

Ein Mensch mit Trans-Hintergrund bei der Bundeswehr, zumal in führender Position? Selbst für viele progressive Zeitgenossen dürfte das der größte anzunehmende Widerspruch sein. Noch immer haftet dem Militär der Ruf an, hetero-männlichen Chauvinismus in seinen Reihen zu dulden, wenn nicht gar zu begünstigen. Ganz zu schweigen von rechtsextremen Strömungen. Die Skandale der letzten Jahre scheinen dieses Bild zu bestätigen.

Anastasia Biefang hieß früher Marc

Wer allerdings „Ich bin Anastasia“ gesehen hat, dem kommen Zweifel an dieser Sichtweise. Das liegt vor allem, aber nicht nur an der Protagonistin. Oberstleutnant (dieser männliche Titel ist ihr geblieben) Anastasia Biefang ist die erste Bataillonskommandeurin mit Trans-Hintergrund in den deutschen Streitkräften. Rund 800 Soldatinnen und Soldaten hören auf ihren Befehl. Als sie vor 45 Jahren geboren wurde, hieß sie Marc. Weil der Vater bei der Luftwaffe war, schien der Weg des Sohnes vorgezeichnet zu sein. So kommt es auch. Nur dass eben aus dem Sohn eine Tochter wird. Mit über 40 Jahren kommt es zum Coming-out.

Der Film erzählt von zwei Zäsuren in Biefangs Leben: Vor zwei Jahren übernahm sie das Kommando über ein Informationstechnikbataillon in Storkow (Brandenburg). Dort bereiten sich die Soldaten unter anderem auf Einsätze in Afghanistan vor. Nach außen hin routiniert wächst sie in die Aufgabe hinein und beweist militärische Zackigkeit. Mitarbeiter und Untergeben loben die neue Kommandeurin, berichten aber auch von Vorbehalten. Zum Beispiel: Wird das Transgender-Thema alles andere im Standortalltag überlagern? Offenbar hat es auch Zweifel an Biefangs Eignung gegeben.

„Verwandlung“ wird zum Event

Parallel dazu durchlebt die Kommandeurin massive körperliche Veränderungen. Sie hat sich entschlossen, ihre sexuelle Identität, die seit den späten Teenager-Jahren immer evidenter geworden war, nicht nur zu leben, sondern durch eine Geschlechtsangleichung mit Hormonbehandlung und Operationen zu vollenden.

Bei der Begleitung dieses Prozess zeigen weder Biefang noch die Kamera besondere Scheu. Mehrfach ist die Berufssoldatin im Krankenhaus zu sehen, auch der OP-Saal wird nicht ausgespart. Viele Gesprächsausschnitte mit der Lebenspartnerin und späteren Ehefrau kreisen um dieses Thema. Gerade die Frau an Anastasias Seite versteht es, diesem zentralen Thema immer wieder humorvolle Facetten abzugewinnen, ohne sie zu verharmlosen („Tschüss, Pimmel!“). Mit einer Schwanz-ab-Party und einer riesigen Plastik-Vagina im Türrahmen, die die Gäste durchschreiten müssen, wird Anastasias „Verwandlung“ zum Event.

Leben in zwei Welten

Ein großer Reiz des Films lebt in dem Nebeneinander des hierarchisch strukturierten Bundeswehrdaseins und des an LGBT-Vielfalt und Individualität orientierten Privatlebens. Wobei man nach den meist recht ausführlichen Monologen Biefangs den Eindruck bekommt, dass sie beide Welten wunderbar miteinander vereinbaren kann. Unsicherheiten und Selbstzweifel finden vergleichsweise wenig Raum und werden meist in der Vergangenheit, also auf dem schmerzvollen Weg hin zum Coming-out, verortet. Auch Anfeindungen werden nur knapp abgehandelt.

Vielleicht sieht Biefang ihr Leben und ihre Geschichte etwas zu rosig? Auf jeden Fall strahlt sie eine Selbstsicherheit aus, die nicht von ungefähr kommen dürfte: Die Aussagen der Vorgesetzten zeigen, dass es Menschen gegeben hat, die sie auf diesem Weg unterstützt haben, selbst wenn sie von der Materie keine Ahnung hatten.

Film über menschliche Solidarität

Von dieser Sicherheit profitiert Anastasia offenbar bis heute. Mit ihren Selbstzeugnissen gelingt es der studierten Pädagogin, die Zuschauenden für sich zu gewinnen. Und doch würde man an manchen Stellen gerne etwas mehr hinter die Fassade blicken. Sicherlich wäre ein Off-Kommentar hilfreich gewesen, um Biefangs Situation in der Bundeswehr, wo Transgender-Menschen und Frauen noch immer massiv unterrepräsentiert sind, einzuordnen. Immerhin führt einem das Beispiel einer anderen Frau, die Anastasias Weg bereits vor 20 Jahren beschritten hatte, vor Augen, was seinerzeit in den Kasernen im Argen lag und möglicherweise mancherorts bis heute liegt.

Unterm Strich ist „Ich bin Anastasia“ ein ebenso mutiger wie subtil erzählter und vor allem unterhaltsamer Film, letztlich auch über menschliche Solidarität. Er kommt seiner Protagonistin nicht zuletzt in Situationen, die man ihr vor der Kamera im Grunde lieber erspart hätte, sehr nah, ohne voyeuristisch zu sein. Er könnte viele Menschen ermutigen, ihren Blick zu weiten. Und zwar nicht nur in der Bundeswehr.
 

Info: „Ich bin Anastasia“ (D 2019), ein Film von Thomas Ladenburger, mit Anastasia Biefang, Samanta Sokolowski u.a., 96 Minuten. Kinostart: 21. November

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