Gleich zu Beginn schreibt er darin: "Von der Wahrheit lässt sich schweigen, über die Wirklichkeit lässt sich reden." Er war ein emphatisch Heimatloser, dessen Archiv die Berliner Akademie der Künste bereits 2007 übernahm. Jörg Hafkemeyer hat den mit seiner Familie 1938 vor den Nazis aus Österreich nach Los Angeles Geflüchteten Ende 2010 zu einem Gespräch in der Berliner Paris Bar getroffen.
vorwärts.de: Vor mir sitzt ein Ende 80jähriger, sehr rüstiger Mann.
Georg Kreisler : Na ja, bis auf den Stock, den mir zwar niemand eingeredet hat, aber meine Beine sind schlecht. Das ist alles. Ich höre und sehe gut, fahre Auto. Es geht gut.
Was sind Sie? Klavierspieler, Kabarettist, Schriftsteller…
Sie können ruhig noch weiter fragen. Ich sag` auf alles ja.
Sie schreiben mit einer mechanischen Schreibmaschine. Macht es eigentlich nach so vielen Jahren immer noch Spaß oder ist es eine Last?
Schreiben? Nein, nein, das ist keine Last. Ich schreibe noch, weil ich gerne schreibe. Natürlich ist es mühsam, aber es macht mir Spaß. Was soll ich sonst machen? Tanzen kann ich ja nicht. Ich arbeite nicht mehr so lang an der Schreibmaschine. Nach zwei, drei Stunden muss ich Pause machen.
Wer hat sie begeistert? Wer waren ihre Vorbilder?
Im Schreiben waren Nestroy, Ringelnatz, Morgenstern und Kästner die großen Vorbilder. Mozart und Beethoven habe ich sehr geliebt und studiert. Später die moderneren Komponisten wie Schönberg, Strawinsky und Bartok.
Am Nebentisch in der Paris Bar haben die Schauspieler Axel Milberg und Joachim Krol Platz genommen. Schauen herüber. Nicken grüßend mit den Köpfen. Erheben sich, begrüßen Georg Kreisler. Nach einiger Zeit verabschieden sie sich. Georg Kreisler fragt: Muss ich die kennen?
Es gibt im deutschsprachigen Raum zwei große, alte Kabarettisten. Sie und Dieter Hildebrandt.
Ich habe wenig Verbindung zu ihm. Weil, ich gebe es zu, er ist ja SPD. Durchaus nur SPD. Damit kann ich nichts anfangen…. Ich kann mich nicht einspannen lassen. Das geht nicht. Er lässt sich einspannen. Nicht, dass wir bös` mit einander sind. Dieter Hildebrandt ist für mich ein linker, aber ein parteigebundener Kabarettist.
Und was sind Sie?
Ich bin Anarchist. Ich bin kein Sozialdemokrat. Bitte nicht verwechseln mit Gewalt-Anarchisten. Anarchismus ist keine Macht für Niemanden. Kleine Gemeinschaften und keine großen Staaten und natürlich keinen Krieg. Dieter Hildebrandt kann sicher sehr viel, das ist gar keine Frage. Aber wir beide sind auf verschiedenen Planeten.
Die meisten Menschen werden mit zunehmenden Alter immer konservativer, immer reaktionärer…..
Vor allem diejenigen, die sich nicht kümmern um die Politik und deren Folgen. Ich war immer politisch interessiert. Da kann das nicht passieren.
Sie sind 1955 aus dem amerikanischen Exil zurück nach Österreich gekommen und noch heute, wenn man sich umhört haben 1938 furchtbar wenig Menschen dem Hitler zugejubelt.
Ja, wenn man sich umhört. Natürlich. Auch 1955 haben die meisten gesagt: Ich habe ja nichts gemacht. Sie haben jede Schuld von sich gewiesen. Auch die Gefangenen, mit denen man nach dem Krieg zu tun hatte, haben nichts gemacht. Auch Hermann Göring, der hat gesagt: "Von Judenverfolgung weiß ich nichts. Das war nicht mein Gebiet." Und der Widerstand? Den gab es, aber klein. Etwa so wie in Deutschland auch.
Dieses letzte Gespräch ist zu Ende.
Danke.
Gerne.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).