Kultur

Holodomor: Dunkle Zeiten im ukrainischen Märchenland

Anfang der 30er-Jahre verhungerten Millionen von Menschen in der Ukraine. Lange Zeit wurde das Massensterben während der Zwangskollektivierung im Ausland kaum beachtet. Das soll das bombastisch inszenierte Drama „Holodomor“ ändern.
von ohne Autor · 13. April 2017
Yuri (Max Irons) muss den Rebellen in sich erst noch entdecken
Yuri (Max Irons) muss den Rebellen in sich erst noch entdecken

Die Kamera fährt über endlose Felder, unten gleißen goldgelbe Ähren im Sonnenlicht, darüber öffnet sich ein blauer Bilderbuchhimmel. Ein Bild, das für die Farben der ukrainischen Flagge steht und wohl bedeuten soll: Gelobt sei die Scholle, die die Ukrainer bestellen. In dem Film von George Mendeluk, einem Kanadier mit ukrainischen Wurzeln, darf es ruhig eine ordentliche Portion Nationalismus sein, wenn es darum geht, die Sinne für seinen Gegenstand zu schärfen.

Konflikt zwischen der Ukraine und Russland

Ein Gegenstand, den aufzugreifen längst überfällig ist. Über Fachkreise hinaus ist die Hungersnot in der Ukraine während der Jahre 1932 und 1933 bis heute kaum ein Thema, jedenfalls im Westen Europas. Schätzungen gehen von 3,5 bis sieben Millionen Opfern aus. Der Historiker Robert Conquest zählt die Folgen der „Entkulakisierung“ sowie Exekutionen hinzu und kommt auf gut 14,5 Millionen Tote während dieser Zeit.

Die Alleinschuld des Kremls, der mit gewaltsamen Beschlagnahmungen und Vertreibungen offenkundig den Widerstand ukrainischer Bauern gegen die Verstaatlichung ihrer Höfe brechen wollte, ist allerdings umstritten, auch weil das Regime sein Vorgehen zu verschleiern verstand. Manche Forscher verweisen auch auf die Effekte von Missernten. Im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ist es eine Materie mit politischem Sprengstoff. Während Kiew von Völkermord spricht (wie auch 16 weitere Staaten), weigert sich Moskau, eben das einzugestehen. Obendrein fällt der Film, der nun auf DVD und Blu-Ray erscheint, in eine Zeit, wo sich die Ukraine mit einem Ruck vom sowjetischen Erbe lossagen will. Kürzlich hat die Regierung einen Gesetzentwurf verabschiedet, wonach alle zu Sowjetzeiten beschlossenen Rechtsakte aufgehoben werden sollen.

Blaugelbe Märchenlandschaft

Fakt ist, dass Anfang der 30er-Jahre die alte dörfliche Welt in der Ukraine, und nicht nur in diesem Teil der Sowjetunion, brutal zerstört wurde. Eine Welt, die durchaus auch mit Armut und Rückständigkeit assoziiert wird. Mendeluk präsentiert uns hingegen eine blaugelbe Märchenlandschaft voller freiheitsliebender Recken, die von roten Eindringlingen bedroht wird. Den Rahmen gibt eine Liebesgeschichte vor: Seit ihrer Kindheit fühlen sich der Kosakensohn Yuri und die schöne Natalka einander verbunden. Weil er Maler werden möchte, geht der empfindsame Jüngling nach Kiew, wo sich einige seiner Freunde begeistert unter den Kommunisten tummeln. Seine Verlobte bleibt zurück im Dorf.

Dort greifen Gewalt und Chaos immer mehr um sich. Ein Parteikommissar presst den Bewohnern immer höhere Getreidequoten ab, sodass ihnen kaum etwas zum Leben bleibt. Willkürlich morden Moskaus Marodeure. Aus der Hungerzone zu entkommen, ist fast unmöglich. Yuri gibt seine Künstlerträume auf und gerät ebenfalls in die Mühlen des Systems. Was ihn, der sich nunmehr zur Härte erzieht, nicht davon abhält, alles dafür zu tun, gegen die Rotarmisten und für eine Zukunft mit Natalka zu kämpfen.

„Holodomor“ – ukrainisch für „Tötung durch Hunger“ – ist ein spannendes und emotionales Abenteuer vor der Kulisse der Stalinzeit. Mendeluk lässt kaum ein Werkzeug aus der Blockbuster-Trickkiste aus, um für Überwältigung jeglicher Art zu sorgen. Insofern nimmt die von dem kanadischen Exil-Ukrainer Ian Ihnatowycz finanzierte Millionen-Produktion mühelos die erste Hürde, um den Zuschauer für diesen historisch kontaminierten Stoff zu gewinnen.

Realität als Staffage

Was davon am Ende hängen bleibt, steht auf einem anderen Blatt. Wer sich mittels der Fiktion ein differenziertes Bild von den Ereignissen und ihrem Kontext machen möchte, stößt bei diesem Film schnell an seine Grenzen. Zu schablonenhaft sind die Charaktere, im Guten wie im Schlechten. Hinzu kommen manch abenteuerliche Wendungen und historische Ungenauigkeiten. Wie auch in vielen anderen Kinofilmen über die Stalinzeit, verkommt die Realität zur Staffage. Bleibt dennoch zu hoffen, dass das Thema endlich die verdiente Aufmerksamkeit gewinnt und in subtileren Regiearbeiten erneut behandelt wird.
 

Info: „Holodomor – Bittere Ernte“ (Kanada 2016), ein Film George Mendeluk, mit Max Irons, Samantha Barks, Tamer Hassan, Terence Stam u.a., 104 Minuten. Jetzt auf DVD und Blu-Ray

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