Kultur

Hits aus der Mülltonne

von ohne Autor · 12. Juli 2013

Von der Gosse zum dicken Plattenvertrag: Die Musik-Doku „Unplugged: Leben Guaia Guaia“ zeigt, wie zwei unangepasste Musikverrückte  allein ihrer Leidenschaft folgen. Zu schön, um wahr zu sein?

Straßenmusiker sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Oder gehen Elias Gottstein und Carl Luis Zielke einfach nur mit der Zeit? Reichte früher eine Gitarre, muss für die beiden ein Soundsystem für elektronische Beats und Dancehall-Effekte mit ins Boot – wenn auch stilecht in zwei umgebauten Mülltonnen. Ansonsten zieht das Duo unter dem Namen „Guaia Guaia“ drei Jahre recht „unplugged“ durchs Land: Ohne Wohnung, Bankkonto und auch sonst weitgehend nur mit dem, was sie auf dem Leib tragen. Immer auf der Suche nach der nächsten verbotenen Party oder Fußgängerzone.

Das würden die beiden Mecklenburger wohl auch heute noch tun, wäre da nicht diese eine schicksalhafte Begegnung mit einem Labelmanager, der sie groß rausbringt. Dieser Tage ist ihr Debütalbum „Eine Revolution ist viel zu wenig“ erschienen. Ausgerechnet beim Mega-Kommerzlabel Universal Music. Und im Herbst starten die zwei beim Bundesvision Song Contest.

Was für ein Sprung! Und was für ein Bruch, möchte man sagen. Mit diesem Wissen im Hinterkopf wird die Geschichte, die der Regisseur und Autor Sobo Swobodnik in seiner Mischung aus Dokumentar- und Musikfilm erzählt, nämlich noch unglaublicher. Haben die beiden Freaks, beide Jahrgang 1989, darauf hingearbeitet oder ist ihnen das alles in den Schoß gefallen?

Revolution und Ironie

Schule geschmissen, verschlissene Klamotten und das Abendessen aus dem Müllcontainer: Der Film erzählt von zwei jungen Männern, die einzig an ihre Musik glauben. Weil sie sich an nichts und niemand anderes binden wollen, tingeln sie durch die Republik. Bauen im gottesfürchtigen Oberammergau ihre Anlage auf und sorgen mit einem Sound zwischen Jan Delay, Zweiraumwohnung und Rio Reiser für ratlose Gesichter. Und treffen später doch auf Gleichgesinnte. Zeigen ein gehöriges Quantum an Selbstironie und Unbekümmertheit, wenn sie ihren Auftritt irgendwo in der Pampa mit der Ansage eröffnen „Hallo erstmal, wir haben noch keinen Schlafplatz“. Was sich wohl auch von Zielkes künstlerischer Selbsteinschätzung sagen lässt: „Es ist nicht die Musik, die auf unseren Konzerten überzeugt, sondern unser Geruch.“

Swobodnik bringt uns aber auch zwei Menschen näher, die im wenig groovigen Neubrandenburg keine Zukunft für sich sehen und aus allem ausbrechen. Der Zivildienst in Frankfurt am Main ist der Auftakt. Später werden sie an Orte gespült, wo kaum ein Zuschauer je seinen Schlafsack ausrollen möchte. Zwischendurch bilden feste Anlaufpunkte bei Freunden oder in leer stehenden Berliner Altbauten so etwas wie eine Basis. Wo sie auch sind: Die Musik ist immer präsent. Ob die beiden nun an neuen Songs feilen oder für die nächste Session proben. Gibt ihnen der Plattenvertrag nicht am Ende recht?

Musikalischer Rausch

Keine Frage: Swobodniks Film reißt einen von Anfang an mit. Dafür sorgt nicht zuletzt eine rhythmische Erzählweise, die denkbar stimmig zwischen realen Szenen, musikalischen Zwischenspielen und animierten Sequenzen pendelt. Er bringt zwei Individuen aus einer Gruppe zum Vorschein, die oft nur als graue Masse wahrgenommen wird. Bricht Klischees, wenn er zeigt, wie viel kreativer Ehrgeiz mit einem Leben im Dreck verbunden sein kann, das obendrein keine Drogen braucht – abgesehen vom Einstöpseln, versteht sich.

Und doch kippt das Ganze zu sehr in die Richtung jener geglätteten Dokumentationen, wie sie auch von anderen, weitaus etablierteren Bands bekannt sind. Wege werden wie vorgegeben inszeniert, ohne auf mögliche Abzweigungen einzugehen. War die Musik wirklich die einzige Option, um im Leben Fuß zu fassen? Wie denken Eltern oder Lehrer über die Karriere der beiden? Oder gar andere Straßenmusiker?

Alles nur Geschäft?

Stattdessen werden jene Schauplätze, an denen Gottstein und Zielke zumindest ansatzweise selbstkritisch zurückblicken, etwa das Dach einer Neubrandenburger Platte, im nächsten Gang zur Kulisse für ein weiteres Playback im besten Videoclip-Gewand. Wo Swobodnik uns mit Atmosphäre überschüttet, bleibt eine Analyse, die über die larmoyanten Gedankenergüsse der Protagonisten hinausgeht, auf der Strecke.

Zeitgenossen, die hinter diesem Film einen Marketinggag vermuten, sei allerdings gesagt, dass er bereits vor gut einem Jahr, also lange bevor Universal seine neuen Schützlinge öffentlich willkommen hieß, seine Premiere auf dem Filmfest München feierte. Doch welche Absprachen werden nötig gewesen sein, ihn pünktlich zur Veröffentlichung des besagten Albums in die Kinos zu bringen?

Sind „Guaia Guaia“ also auf dem Weg, ein Business-Produkt zu werden? Man mag es kaum für möglich halten, wenn man diesen auf ihre Art bedingungslosen, von Grund auf sympathischen Musikern zuhört und zusieht. Und das könnte unterhaltsamer nicht sein.

Info:
„Unplugged Leben: Guaia Guaia“ (Deutschland 2012), ein Film von Sobo Swobodnik, mit Elias Gottstein und Carl Luis Zielke, 94 Minuten.
Ab sofort im Kino

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