Kultur

Hiroshima. Die Zäsur des Schreckens - Rezension

von Die Redaktion · 8. September 2005

Stephen Walker, Historiker und Dokumentarfilmer, meidet zwei mögliche Risiken: romanhafte Plattitüde und statistische Formalität. Er berichtet wie ein Reporter, pendelt bisweilen zwischen Phantasie und Tatsachen, vernachlässigt aber nie die wissenschaftliche Orientierung. "Offenbarungen" der Zeitzeugen stellen Walkers Basis dar. Jedoch bleiben Erinnerungen im Laufe der Jahre nicht unverändert. Somit tat er gut daran, auch archivalische Quellen zu nutzen.

Walker erzählt die Katastrophe des 6. August aus verschiedenen Blickwinkeln. Der Autor dokumentiert den Untergang einer japanische Familie in Hiroshima, betrachtet Physiker, etwa Robert Oppenheimer, die, - trotz schlechten Gewissens - das nukleare Ungeheuer bauten, analysiert die Mentalität jener Bomber-Piloten, deren Ehrgeiz darin bestand, "little boy" punktgenau über Hiroshima abzuwerfen, und Walker prüft die Beweggründe der Militärs und Politiker beider Seiten.

Ursprünglich sollte die Bombe auf Deutschland fallen. Die USA fürchteten eine mögliche atomare Gefahr durch Deutschland, doch kapitulierte die Wehrmacht kurz vor der Fertigstellung der ersten amerikanischen Nuklearwaffe. Obwohl die Japaner Atombomben nicht produzieren konnten, gerieten nun sie ins Fadenkreuz. Im Juli 1945 zündeten amerikanische Wissenschaftler nahe der mexikanischen Grenze eine Test-Atombombe. Noch in einer Ent-ernung von290

Kilometern sah man Lichtblitze.

Während der Potsdamer Konferenz beschloss Truman, den Walker für schwach, sogar unfähig hält, die neue, frivole Erfindung einzusetzen. "Das mit der Atombombe", sagte Truman, "war keine große Entscheidung. Jedenfalls keine, die einem Kopfzerbrechen bereitete".

Nicht nur gegen Japan zielte die monströse Vernichtungsaktion. Zwar hätten japanische Generäle einen "Massenselbstmord" ihres Volkes geplant. Aber Kaiser Hirohito war seit Juni 1945 bereit, Frieden zu schließen, ebenso einige Mitglieder des japanischen Kriegsrats. Sie forderten nur, die Unantastbarkeit des Tenno zu garantieren. Aber wollten die USA den Krieg diplomatisch beenden? Japan lag 1945 militärisch und wirtschaftlich am Boden. Auch ohne die japanischen Hauptinseln verlustreich anzugreifen, meint Walker, hätte das Kaiserreich spätestens dann kapitulieren müssen, wenn die Sowjetunion gegen Japan Krieg führte.

Genau das wollte die Regierung Truman verhindern; es galt, Japan rasch und völlig niederzuschlagen, ehe die Sowjets in Asien mitredeten. "Little boy" sollte Stalin abschrecken und "fügsamer" machen. Walker fand ein Memorandum der US-Luftwaffe, verfasst Ende August 1945, das die Namen Dutzender sowjetischer Städte enthält, die für Atombombenangriffe in Betracht kamen.

Alle Warnungen mancher Physiker vor einem nuklearen Gau fruchteten nicht. Die "herrschende Meinung" der USA habe den Abwurf der Bombe bejaht. Auch "animalische Rachegelüste" gegenüber Japan seien zu bedenken. General Stilwell meinte, dass die "krummbeinigen Kakerlaken unser ruhiges Leben kaputtgemacht haben". Ein Pilot des Flugzeugs, das die Bombe abwarf, sagte, er habe gewusst, "was auf die Japse zukommen würde, doch das bereitete mir keine besonderen Gefühlsregungen".

Hiroshima wurde "ausgewählt", weil es der Bombenkrieg bisher verschont hatte. Minutiös schildert Walker das Inferno vom 6. August 1945. "Ein gigantischer roter Ring umkreiste die Stadt und breitete sich in wahnsinnigem Tempo aus". Insgesamt starben in Hiroshima und später Nagasaki 250.000 Menschen. Feuer, Druckwellen und Gammastrahlen brachten Tod und Verderben.

Walker verschweigt die Frage, ob Hiroshima einem Kriegsverbrechen zum Opfer fiel, betont aber richtig, dass der 6. August 1945 eine Zeitenwende markiert. Steht sie am Anfang des Friedens oder beginnt mit ihr die Selbstzerstörung der Menschheit?



Stephen Walker, Hiroshima. Countdown der Katastrophe, C. Bertelsmann, München 2005, 400 Seiten, 19, 90 Euro, ISBN 3-570-00844-4.

Rolf Helfert

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