Kultur

Himmlers Tagebuch

von Anton Maegerle · 8. Januar 2014

Der diplomierte Landwirt Heinrich Himmler (1900-1945) war einer der mächtigsten und gefährlichsten Politiker des NS-Terrorregimes. Himmler war zugleich Chef der Deutschen Polizei, Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, Befehlshaber über das System der Konzentrations- und Vernichtungslager und Spiritus Rector der Waffen-SS.

Himmlers persönliche Kalendernotizen dienen in der kommentierten Edition als Ausgangspunkt für eine chronologische Materialsammlung. Diese dokumentiert Tag für Tag Himmlers Handeln im Jahr 1940, dem  „Scharnierjahr“ zwischen der Vorkriegszeit und dem Übergang zum Vernichtungskrieg.

Fanatischer Überzeugungstäter

Seitenweise machte sich der Schreibtischmörder Notizen von „mongolischen Unterschichten“ und  „rassisch Wertvollen-Wertlosen“. Wenige emotionslos dahingeschriebene Zeilen des Politikers entschieden über Menschenschicksale, über Tod oder Leben. Dazwischen im Taschenkalender immer wieder banale Dinge, die dem Privatmann Himmler wichtig waren: „Eislauf mit Püppi“, gemeint ist dessen Tochter Gudrun, oder auch „Abends zu Hause Halsweh“ und mit „Mutti telefoniert“. Das Nebeneinander von Funktionär im NS-Terrorapparat und Privatmann, macht deutlich, dass es sich bei Himmler um einen ideologisch fanatisierten Überzeugungstäter handelte.

Der kommentierten Edition vorangestellt sind etwa 150 Seiten Einleitung über die Person Himmlers, die SS und ihre Stellung im NS-Staat sowie die zentralen Tätigkeitsfelder Himmlers im Jahr 1940.

Mitherausgeber Moritz Pfeiffer, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kreismuseum Wewelsburg, rekapituliert in einem biografischen Abriss Herkunft und politischen Werdegang Himmlers (SS-Nr. 168, NSDAP-Mitgliedsnummer 42.404). Dessen Ziel war ein totalitär regiertes „Großgermanisches Reich“, aufgebaut auf einer rassischen Hierarchie. Pfeiffer stellt dar, dass Himmler den allgemeinen Grundtenor der extremen politischen Rechten – Antisemitismus, Chauvinismus, Rassismus und Antimodernismus – um okkulte Elemente, Germanenmythen und -schwärmereien, einen Ahnenkult und einen ebenso romantisierenden wie tödlichen völkischen „Blut und Boden“-Siedlungsgedanken erweiterte.

Einordnende Begleittexte

Die Autorin und Diplom-Politologin Katrin Himmler, Großnichte von Himmler und seit Jahren mit der kritischen Erforschung ihrer Familiengeschichte befasst, beleuchtet den Privatmann Himmler, der mit seiner Privatsekretärin Hedwig Potthast (1912-1994) in einer außerehelichen Beziehung zwei Kinder zeugte.

Michael Wildt, Professor für deutsche Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität, betrachtet die Bemühungen Himmlers, den Polizei- und Sicherheitsapparat der SS in die besetzten Gebiete Europas auszudehnen. Während sich die rassistische Sicherheitspolitik bis 1939 gegen politische Gegner des Nationalsozialismus, gegen Juden, „Zigeuner“  und „Gemeinschaftsfremde“ gerichtet hatte, erweiterte sich mit Beginn des Überfalls auf Polen zu einer Praxis, die zum einen die Besatzungsherrschaft sichern und zum anderen die weitreichenden völkischen Neuordnungspläne realisieren sollte.

Einblick in Himmlers Aktivitäten im Bereich der bewaffneten SS-Verbände gibt der französische Historiker Jean-Luc Leleu. Er weist darauf hin, dass die SS im März 1940 eine Propagandakompanie gründete, die über die eigenen Kriegseinsätze ausführlich berichtete. So konnte diese Einheit ab 1940 „die Keime einer Propaganda über die vermeintlich elitäre Waffen-SS säen“, die „nicht ohne Einfluss auf unsere heutige Wahrnehmung dieser nationalsozialistischen Truppe gebleiben sind“. Die Gesamtstärke der SS betrug am 31. Dezember 1940 331.731 Mann, wovon 14.117 auf die Reichsführung-SS mit den verschiedenen Hauptämtern entfielen.

Einblicke ins Leben eines NS-Mörders

Jan Erik Schulte, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, analysiert die Entwicklung des Systems der Konzentrationslager im ersten Kriegsjahr und die damit verbundenen politischen und wirtschaftlichen Absichten Himmlers.

Im August 1939 saßen rund 21.400 Häftlinge in den Konzentrationslagern. Im Januar 1945 hielt die SS über 700.000 Gefangene in den KZ-Hauptlagern und den ihnen zugeordneten Außenlagern fest. Für die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft war unter anderem die SS-Wirtschaftsholding Deutsche Wirtschaftsbetriebe GmbH zuständig, die 1940 gegründet wurde.

Der umfangreiche Anhang umfasst ein Personenglossar,  das in Kurzform Lebenslauf, Funktion und Verbindung zu den genannten Personen aufführt, ein Abkürzungsverzeichnis, eine Übersicht über die SS-Dienstränge inklusive ihrer in den Aufsätzen und der Edition verwendeten Kurzschreibweisen sowie verschiedene Register. So bietet die Edition wichtige Einblicke in das politische und private Leben und Denken eines der Hauptverantwortlichen für den industriell betriebenen Holocaust.

Markus Moors / Moritz Pfeiffer (Hg.): „Heinrich Himmlers Taschenkalender 1940“ Kommentierte Edition, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2013, 510 Seiten, 39,90 Euro, ISBN 978-3-506-77654-9

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Anton Maegerle

ist freier Journalist.

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