Hilfreiches Nachschlagewerk zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion
Überfall auf die Sowjetunion
Das erste Dokument des ersten Bandes weist als Datum den 22. Juni 1941 aus, den Tag des Überfalls auf die Sowjetunion. Außenminister Molotow musste um 5 Uhr 30 den deutschen Botschafter
Schulenburg empfangen, um aus seinen Händen die "Kriegserklärung" entgegenzunehmen. Aus den Tagebuchaufzeichnungen Molotows und aus weiteren Dokumenten kann die große Überraschung der sowjetischen
Führung abgelesen werden, die bis zuletzt daran geglaubt hatte, Nazi-Deutschland hielte sich an den 1939 abgeschlossenen "Nichtangriffspakt". Aus den folgenden Dokumenten aber wird auch erkennbar,
wie schnell Stalin und seine Mitarbeiter von der Niederlage Deutschlands überzeugt waren und sich schon Ende 1941 an den verschiedensten Überlegungen der Alliierten beteiligten, die
Nachkriegsordnung im besiegten Deutschland zu planen. Es konnte im übrigen keine Rede davon sein, dass die Sowjetunion sich gegen eine Aufteilung Deutschlands sperrte, im Gegenteil, sie entwickelte
dabei Vorstellungen, die weit über ähnliche amerikanische Pläne hinausgingen. Das änderte sich erst kurz vor Kriegsende, als sie durch ihr Eintreten für ein einheitliches Deutschland den Zugang zu
Reparationsleistungen auch aus den westlichen Besatzungszonen zu erhalten hoffte. Darüber hinaus war vor allem Stalin von der nicht gänzlich unberechtigten Furcht geplagt, die Westalliierten
könnten mit Nazi-Deutschland einen "Separatfrieden" abschließen. Daraus resultierten bereits vor Kriegsende Spannungen zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten, die dann nach dem 8. Mai 1945
zu offenen Konflikten führen sollten.
Der Beginn des Kalten Krieges
Die Dokumente des 2. Bandes umfassen nur einen relativ kurzen Zeitraum vom Mai 1945 bis Ende 1946, aber gerade diese wenigen Monate waren von einschneidenden Weichenstellungen in der
Nachkriegspolitik bestimmt. Der beginnende Kalte Krieg machte zunehmend eine gemeinsame Politik der Alliierten gegenüber dem besetzten Deutschland, wenn sie denn überhaupt ernsthaft ins Auge
gefasst worden war, fast unmöglich. In der Berlin-Politik wird dabei ein weiteres mal deutlich, dass der ausgeübte Zwang der sowjetischen Besatzungsmacht gegenüber einheitsunwilligen
Sozialdemokraten wohlüberlegt und auch langfristig geplant war und darüber hinaus stets auf die willfährige Bereitschaft von Kommunisten traf, diesen Zwang auch selbst mitzumachen. Überraschend
freilich ist es, wie groß die Fehleinschätzungen über die angebliche Zustimmung der Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungszone für die sowjetische Politik waren und wie groß die
Fassungslosigkeit und die Erklärungsnot angesichts des Ausgangs der ersten freien Wahlen in ganz Berlin im Oktober 1946 war, die der SPD einen überwältigenden Erfolg auch in Ostberlin bescherten
und die SED weit abgeschlagen ließen.
Sowjetische Zone
Aus den im 3. Band veröffentlichten Dokumenten wird überdeutlich, dass es der Sowjetunion spätestens ab Ende 1946 entgegen der öffentlichen Bekundungen nun nicht mehr um eine Übereinkunft mit
den alliierten Verbündeten über das Schicksal des besiegten Deutschlands ging, sondern vor allem und zunehmend um "Besitzstandswahrung" in der eigenen Besatzungszone. Zumindest für das Jahr 1947
aber wird erkennbar, dass Stalin noch einmal hoffte, durch die alliierten Treffen vor allem der Außenminister auch in den westlichen Besatzungszonen Einfluss zu gewinnen und dafür bereit war, in
der SBZ inzwischen als "historische Errungenschaften" gefeierte Veränderungen auch wieder preiszugeben. So etwa, als er im Frühjahr gegen den zaghaften Widerspruch der SED-Führung die
Wiederzulassung der SPD in der SBZ ernsthaft in Erwägung zog. Das 20seitige Protokoll der Unterredung Stalins mit der SED-Führung am 31. Januar 1947 (Pieck, Ulbricht, Grotewohl, Oelßner und Fechner
waren die SED-Teilnehmer) offenbart nicht nur den "Eiertanz" der SED-Führung, vor allem Grotewohls, um Argumente gegen eine Wiederzulassung der SPD in der SBZ zu finden, ohne Stalin direkt zu
widersprechen, zugleich aber die Art und Weise, wie Stalin diese Argumente vom Tisch wischte. Nach dem Scheitern der Außenministertreffen in London Ende 1947 war freilich davon nicht mehr die Rede.
Dennoch aber wird deutlich, dass die Frage einer Wiederzulassung, über die ja auch in der SPD damals viel gerätselt und vermutet wurde, nicht nur ein Gerücht war.
Blockade Westberlins
Nachzulesen ist auch, wie konzeptionslos Stalin 1948 daran ging, Westberlin der eigenen Besatzungszone einzuverleiben. Es schien so einfach, den Westalliierten durch eine Blockade Westberlins
einen gewaltigen Prestigeverlust zufügen zu können. Stalin hatte offenbar keinerlei Vorstellungen entwickelt, wie zu verfahren sei, wenn es nicht so einfach sein sollte. Die erste
Propagandaniederlage der Sowjetunion im beginnenden Kalten Krieg war so programmiert. Dieser Kalte Krieg aber kam, dass ist in den Dokumenten nachzulesen, für die Sowjetunion nicht überraschend und
Stalin dachte nie daran, auch nur einen Meter des von ihm beherrschten Einflussgebietes preiszugeben. Die Herausgeber können zumindest in den ihnen zugänglichen Quellen keine darüber hinaus gehende
"aggressive Absicht" Stalins erkennen, dazu sei Stalin viel zu sehr auch Realist gewesen, der um die eigene Schwäche ebenso wusste wie um die Stärke der USA. Deswegen sei sein oberstes Ziel immer
gewesen, seine Einflusszone mit allen Mittel abzuschirmen und sich dabei von den Westalliierten nicht hineinreden zu lassen. Über manche Schlussfolgerung der Herausgeber kann gestritten werden.
Aber die ausführlichen Einleitungen der beiden Herausgeber zu jedem der drei Bände erläutern nicht nur den inneren Zusammenhang der ausgewählten Dokumente sondern sind - zusammengelesen - auch eine
eigene Monographie zur sowjetischen Deutschlandpolitik auf dem neuesten Stand der Forschung.
Jedes Dokument wird im übrigen sorgfältig in ausführlichen Anmerkungen und unter Verweis auf die Literatur in die Zeit seiner Entstehung eingeordnet. Knappe Biographien der in den Dokumenten
vorkommenden Personen, ein Orts- und ein Sachregister erleichtern es den Lesern darüber hinaus ungemein, die Publikation auch als ein hilfreiches Nachschlagewerk zu nutzen.
Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, bearbeitet und herausgegeben von Jochen P.Laufer und Georgij P. Kynin unter
Mitarbeit von Viktor Knoll, Band 1: 22. Juni 1941 bis 8. Mai 1945; Band 2: 9. Mai 1945 bis 3. Oktober1946; Band 3: 6. Oktober 1946 bis 15. Juni 1948, Berlin (Duncker&Humblot) 2004
Siegfried Heimann