Einigen hat sich Martina Gedeck als Protagonistin bedeutungsschwangerer Dramen zur Historie eingeprägt. Manch einer sah die Künstlerin hinter einem Rollen-Klischee verschwinden. Umso mehr beeindruckt sie in „Die Wand“ durch ihre Kunst der Reduktion.
Beklemmung hinterlässt diese Geschichte, die ein Science-Fiction-kompatibles Schreckensszenario mit existenzialistischer Selbst- und Naturbetrachtung verbindet. Die Gedeck besticht darin mit ihrem kargen, aber tief ins Innere zielenden Spiel. Und das im Angesicht einer übermächtigen Bedrohung.
Eines Morgens erwacht eine namenlose Frau in einer Berghütte, irgendwo in Oberösterreich. Ihre Freunde, mit denen sie aus der Stadt angereist war, hatten sich zu einem Spaziergang aufgemacht. Nun sind sie spurlos verschwunden. Wie überhaupt jedes menschliche Leben um die Zugereiste herum wie weggefegt ist. Der Grund dafür ist nicht zu sehen, wohl aber zu spüren: Eine unsichtbare und unüberwindbare Wand hat sich über das Tal gelegt. Jede unverhoffte Berührung tut nicht nur weh, sondern hinterlässt obendrein ein dumpfes, summendes Geräusch, das an den Klang eines elektromagnetischen Feldes erinnert.
Leben unter der Käseglocke
Wo die Wand verläuft, entzieht sich dem menschlichen Auge. Nach einigen schmerzhaften Kollisionen wird der Überrumpelten klar: Es gibt keinen Ausweg. Will sie unter der Käseglocke überleben, muss sie sich mit der Situation arrangieren. Also allein mit sich, den Tieren und Pflanzen existieren. Der Albtraum aus Ohnmacht und Isolation bringt die Zwangseremitin dazu, sich von ihrem bisherigen Leben zu lösen, zu sich selbst zu finden.
Die gestylte Großstädterin mit Mäntelchen und Absatzschuhen wandelt sich zur gestandenen Bäuerin, Jägerin und Geburtshelferin: Trotz der disparaten Lage ist es eine Lust, ihr dabei zuzuschauen. Die Autarkie wird fortan nicht nur zu allen Jahreszeiten bewältigt, sondern auch gelebt. Bis plötzlich ein ungebetener Besucher das robinsonhafte Dasein bedroht.
Ebenso abgeklärt, wenngleich schonungslos, sind auch die Tagesberichte, die die Grundlage für die Erzählung bilden: „Ich schreibe nicht aus Freude am Schreiben. Es hat sich eben für mich ergeben, dass ich schreiben muss, wenn ich nicht den Verstand verlieren will. Es ist ja keiner da, der für mich denken und sorgen könnte. Ich bin ganz allein. Von allen Seiten kriecht die Angst auf mich zu. Und ich will nicht darauf warten, dass sie mich überwältigt.“
Schreiben, um nicht aufzugeben: Die Selbsterhaltung durch die Strenge des Geistes und die Härte gegen sich selbst, die die Frau zum Stift greifen lässt, ist das Letzte, was man erwartet, wenn man zu Beginn dieses Films die sattgrünen Almen und Wälder unvoreingenommen an sich vorbeirauschen lässt. Und doch bringt Regisseur Julian Roman Pölsler die innere Entwicklung jener Eremitin und die gleichgültig vor sich hin existierende Natur als gleichberechtigte Sphären zusammen. Mag die Frau sich auch immer mehr auf ihre Umgebung einlassen: In ihrer Schönheit wohnt den verschneiten Berggipfeln und dem in sich ruhenden See immer auch etwas Einschüchterndes inne.
Gesichter einer kleinen Welt
So übersichtlich dieser Kosmos in seinem äußeren Umfang auch wirkt – in der Tiefe ist er umso undurchdringlicher. Im Wechsel der Jahreszeiten zeigt er Gesichter, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu verbinden scheint: Neun Kameraleute filmten zwischen zwei Wintern immer wieder die Gegend am Dachstein: Jeder neue Eindruck steht auch für die wechselnden Situationen, die Gedecks Figur meistern muss. Mehr und mehr formt sich aus diesem Wechselspiel ein stimmiges Ganzes.
Viele hatten eine Verfilmung des gleichnamigen Buchs von Marlen Haushofer (1920-1970) für unmöglich gehalten: Zu sehr nach innen gerichtet sei ihr vor 49 Jahren erschienener Roman – dessen ungeachtet wurde er seit den späten 70er-Jahren auch als politischer Text gelesen. Zunächst avancierte die Geschichte der zur Selbstständigkeit verdammten Frau, die ihre gewohnte Existenz überwindet, zu einer zentralen literarischen Inspiration der weiblichen Emanzipationsbewegung. Später wurde ein weiterer Aspekt diskutiert: Steht die unsichtbare Wand nicht auch für all die Grenzen, die wir in der Realität um andere und anderes ziehen? Vorurteile sind wohl das passendste Beispiel dafür.
Politische Konnotationen machen sich bei Pölsler rar. Seine Adaption setzt ganz auf die Konfrontation zwischen Innen- und Außenwelt der Namenlosen. Nach eigenem Bekunden hatte Pölsler minutenlange Auftritte Gedecks geplant, die sich unter der Chiffre „Das Schweigen im Walde“ hätten zusammenfassen lassen. Aus dieser völligen Tonlosigkeit wurde nichts. Gleichwohl ist das Klangbild dieses Films ein besonderes: Zwar schweigt die Protagonistin fast durchweg. Allerdings begleiten die rückblickenden, von Gedeck gesprochenen Passagen aus jenen Aufzeichnungen oder Bach-Partiten die Szenerie: So findet das Wort lediglich aus dem Off Eingang in die Welt der Stille.
Das Zwiegespräch zwischen Mensch und Natur, mag diese auch ein Gefängnis sein, braucht keine Worte.
Info: Die Wand (A/D 2012), ein Film von Julian Roman Pölsler, nach dem Roman von Marlen Haushofer, mit Martina Gedeck, Hans-Michael Rehberg u.a.
Ab sofort im Kino