Herausragend und unabhängig: zum Tod von Roger Willemsen
Es ist schwer, über diesen Mann zu schreiben, der so herausragend war. Unabhängig. Selbstbewusst. Auch vorsichtig. Vor allem aber schüchtern und im schönsten Sinne des Wortes: Neugierig. Roger Willemsen war ein leidenschaftlicher Intellektueller. Immer gut vorbereitet, ganz gleich, was er vor hatte oder unternahm. Er konnte klug fragen und sehr gut schreiben.
Den Dingen auf den Grund gehen
Er hatte etwas, was es immer weniger in den Universitäts- oder Verlags-, den Fernsehapparaten gibt: Er hatte Lust, etwas herauszukriegen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Freundlich und unruhig, nervös manchmal, aber unbedingt gewissenhaft. Viele beneideten ihn deshalb, andere fühlten sich durch ihn bedroht, weil er ihnen zeigte, was sie nicht waren und auch nicht konnten.
Er war Literaturwissenschaftler, hatte über den nicht einfachen Robert Musil promoviert. Sicher hätte er eine Universitätskarriere machen können. Hat er aber nicht. Er schrieb, unter anderem für den Spiegel. Ende der achtziger Jahre ging er zum Privatfernsehen: Der Sender hieß damals Premiere. Die Sendung o173. Zuschauer hatte sie wenig. Berühmt wurde sie dennoch. Die Interviews sind noch heute, fast 30 Jahre später, einfach großartig. Roger Willemsen ist ein anspruchsvoller Mann gewesen. Diese Ansprüche hat er auch im Fernsehen formuliert in der Mitte der 90er Jahre in „Willemsens Woche“ beim öffentlich-rechtlichen ZDF. Da trat auch dieser hingebungsvolle französische Pianist Michel Petrucciani auf.
Welche Vorstellungen haben wir von dieser Welt?
Wer wissen will, wie man fragt, soll sich diese Interviews anschauen. Vor allem eins: Das mit dem damaligen Focus-Chefredakteur Helmut Markwort. Einem zynischen Mann, der sich jederzeit überlegen, besser wissend fühlte und sich auch so benahm. Willemsen hat ihn mit seinen Fragen zerlegt. Sicher nervös. Ganz sicher sehr gut vorbereitet. Weder servil, noch ergeben. Er mochte keine Zyniker. Er trieb sich herum: Gedanklich, physisch auch.
Nach einigen Jahren verließ er das Fernsehen. Er wollte sich weder den Einschaltquoten noch einer zunehmenden Anspruchslosigkeit unterwerfen. Er hörte auf, so wie er Jahre zuvor an der Universität aufgehört hat. Unspektakulär. Ohne ein neues, festes Ziel oder ein definitives Angebot. Er trieb sich wieder herum.
Welche Vorstellungen haben wir von dieser Welt? Was verändert sich und warum? Er hat diese Dinge untersuchen und verstehen wollen und wusste ziemlich sicher, wer etwas erkennen will, wird sich auf Schmerzen einlassen müssen.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).