Kultur

Helmut und Loki Schmidt: Eine Biographie des Jahrhundertpaars

In seinem neuen Buch erzählt Reiner Lehberger, wie Helmut und Loki Schmidt sich durch die Brüche und Herausforderungen des 20. Jahrhunderts kämpften und trotz Krisen immer wieder zueinander fanden. Dabei lässt er auch die dunklen Flecken der Paarbiographie aus der NS-Zeit nicht aus.
von Katharina Korn · 27. November 2018
Helmut und Loki im Urlaub am Brahmsee, 1979
Helmut und Loki im Urlaub am Brahmsee, 1979

Lehberger zeichnet anlässlich des 100. Geburtstags von Helmut Schmidt nach, wie die Ereignisse des 20. Jahrhunderts die Beziehung zwischen Loki und Helmut bestimmten. Er schreibt über verschiedene Etappen, die das Paar im Laufe der Jahre durchlebte – angefangen mit der reformpädagogischen Lichtwarkschule, wo sich Loki und Helmut kennenlernten, über ihre Jugend und Ehe unterm Hakenkreuz, die Bonner Jahre bis hin zu ihrer Rückkehr nach Hamburg in den 80er und 90er Jahren.

Die Lüge von der Ahnungslosigkeit

Trotz seiner langjährigen Freundschaft mit den beiden hat der Autor keine bloße Lobrede auf das „Jahrhundertpaar“ verfasst, sondern beleuchtet zurecht auch die dunklen Flecken im Lebenslauf des Paars. Dazu gehörten etwa Lokis Karriere im Bund Deutscher Mädel und Helmuts in der Wehrmacht sowie seine zahlreichen freiwilligen Einsätze an der Front. Ein weiterer Kritikpunkt von Lehberger ist die Behauptung der beiden, von der systematischen Vernichtung der Juden nichts gewusst zu haben. Dass der Zwangsexodus ihrer jüdischen Klassenkameraden unbemerkt an Loki und Schmidt vorübergezogen sei, kann der Autor nur schwer nachvollziehen. Für seine Zweifel an der Behauptung der Schmidts, nichts vom Holocaust gewusst zu haben, bringt Lehberger die Gegenargumente an, dass Lokis Eltern jüdischen verfolgten Freunden Unterschlupf boten und Helmut schon 1938 in seinen Notizen vermerkte: „Scham über die Judenverfolgung“. Auch die Tochter der Schmidts, Susanne, konfrontierte ihre Eltern später mit der Frage des Nicht-Wissens – oder eher Nicht-Wissen-Wollens – über die Verschleppung und Ermordung der Juden.

Nichtsdestotrotz würdigt Lehberger den weiteren Werdegang der Schmidts, den sie nach dem Kriegsende antraten. Zu den frühen Errungenschaften Helmuts, der im Gefangenenlager in Belgien unter Anleitung von Hans Bohnenkamp zum Sozialdemokraten geworden sei, gehörten seine strikte Ablehnung der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr und sein Einsatz während seiner ersten großen Bewährungsprobe als Innensenator von Hamburg – die Sturmflut von 1962.

Helmuts Affäre

Aber auch hier lässt der Autor hinter die Kulissen des später bundesweit bekannten Paares der Bonner Republik blicken. Während Helmut tagsüber studierte und sich abends auf mehr oder minder politischen Veranstaltungen vergnügte, hing alle Verantwortung an Loki. Sie verdiente das Geld und kümmerte sich gleichzeitig um die gemeinsame Tochter. Auch die Ehekrise, in die das Paar in den 60er Jahren stürzte, weil Helmuts langjährige Beziehung mit einer anderen Frau – die noch Jahrzehnte lang andauerte – an die Öffentlichkeit geraten war, stellt eine einschneidende Zäsur für den weiteren Verlauf der Beziehung dar. Loki verfiel infolge der Affäre in eine langwierige Krankheit, die sie um ihren Job und damit um ihre finanzielle Selbstständigkeit – die ihr in dieser Zeit wichtiger denn je erschien – brachte. Letztendlich aber seien die beiden, so der Autor, gestärkt aus der Krise hervorgegangen.

Lehberger rückt mit seiner Biographie des Paares, das die Geschichte der Bundesrepublik wie kaum ein anderes geprägt hat, den Weg Helmuts zur Kanzlerschaft – der von Loki Unvorstellbares abverlangte – in ein neues Licht. Zugleich erzählt er anhand des Lebenswegs der Schmidts stellvertretend die Geschichte einer ganzen Generation, die das Zeitalter der Extreme – mit all ihren Gewinnen und Verlusten – durchlebt hat.

Autor*in
Katharina Korn

studiert Geschichte und Deutsche Literatur und war Praktikantin in der vorwärts-Redaktion von Oktober bis Dezember 2018.

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