Das Sommerhaus am See mit Steg, Bootshaus und einem großen Grundstück bildet den Dreh- und Angelpunkt des Romans. Die 41-jährige Ostberliner Autorin Jenny Erpenbeck beschreibt zwölf
verschiedene Lebenswege, die das Haus auf die eine oder andere Art kreuzen. Es ist Schauplatz der Geschichten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Anschaulich spiegelt die Autorin darin
die menschlichen Schicksale wider. Das Haus symbolisiert dabei die Vergänglichkeit - Veränderungen und die Spuren der Zeit prägen es wie auch seine Bewohner. So gesehen ist der Roman ein kleines
Geschichtsbuch, das aber nicht die großen historischen Ereignisse schildert, sondern deren Auswirkungen auf die Menschen der jeweiligen Zeit.
Das Haus und seine Bewohner
Das Haus macht über die Zeit hinweg einiges mit. Die Jahre vergehen und die Bewohner wechseln. Das Haus jedoch bleibt immer dasselbe - abgesehen von Abnutzung und Verfall, bedingt durch den
Zahn der Zeit.
Die ersten Bewohnern des Grundstückes sind ein Bauer mit seinen vier Töchtern. Deren Lebensweise verläuft noch nach ganz archaischen Mustern. Über einen Verkauf gelangt ein Teil des
Besitzes später an einen Berliner Architekten, der sofort eine Sommerresidenz für seine Frau darauf baut. Den anderen Teil des Grundstückes kauft er 1939 von seinen damaligen jüdischen Nachbarn
ab. Diese wollen mit dem Erlös aus Deutschland auswandern, schaffen es jedoch nicht rechtzeitig und erleiden dasselbe Schicksal wie viele andere Juden auch. Bei Kriegsende versteckt sich die Frau
des Architekten in dem Sommerhaus. Sie erlebt, wie russische Soldaten das Haus in Beschlag nehmen. Eine aus dem russischen Exil heimgekehrte Schriftstellerin zieht ein. Sie will den Aufbau der
DDR mitgestalten. Ihre Enkelin verbringt eine glückliche Kindheit in dem Haus, lebt noch zur Wende darin. Die jedoch verändert die Lage dramatisch. Die Alteigentümer des Hauses melden
Besitzansprüche an. Sie bekommen Recht. Derweil ist das Haus am See aber schon unbewohnt und verfallen.
Was bleibt sind Erinnerungen
Zwischen den episodenhaften Abschnitten des Buches taucht immer wieder ein ominöser Gärtner auf. Unabhängig von der Jahreszeit und der politischen Lage verrichtet er seine Arbeit. Er altert
gewissermaßen gemeinsam mit dem Haus. Irgendwann aber ist er einfach nicht mehr da und keiner weiß etwas über seinen Verbleib. Das unerklärliche Verschwinden des Gärtners verklärt den Roman
etwas. Hat er alles überdauert?
Mit seinem Weggang scheint allerdings auch die gute Seele des Hauses entschwunden zu sein, sodass am Ende der Geschichte nur der Abriss stehen kann. Zum Schluss heißt es deshalb: "Bevor auf
demselben Platz ein anderes Haus gebaut werden wird, gleicht die Landschaft für einen kurzen Moment wieder sich selbst.".
Jenny Erpenbecks Roman "Heimsuchung" ist konsequent erzählt und in sich geordnet. Er steht für Heimat und Geborgenheit; aber auch für Verlust und Sehnsucht. Ohne aufwendiges Ausschmücken
gelingt es der Autorin, das Haus, seine Umgebung und Bewohner vor dem geistigen Auge des Lesers lebendig werden zu lassen. Nicht nur aus diesem Grund ist ihr Roman sehr lesenswert.
Edda Neumann
Jenny Erpenbeck: Heimsuchung, Eichborn Verlag, 2008, 192 Seiten, 17,95 Euro, ISBN-13: 978-3821857732
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