Kultur

Hauptstadtjournalismus im Niedergang

von Dorle Gelbhaar · 30. Juli 2010
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Als die Hauptstadt aus Bonn nach Berlin umzieht, beginnt der ganze Ärger. Die saubere Trennung von seriösem Informations- und Boulevardgeschäft geht verloren. Die Hauptstadtjournalisten gehen auf die Jagd nach kommerziellem Erfolg und setzen auf gut absetzbare Themen. Sie halten nicht mehr inne, nähern sich Tabu-Themen wie etwa dem Privatleben der Politiker. Die High-Society-Journalisten inszenieren sich selbst als Teil des Politikbetriebs. Sehen und Gesehen werden, das wird plötzlich wesentlich. Die Distanz zwischen Politik und Politjournalismus schwindet. Das sei auch ähnlicher Herkunft und ähnlichen Lebensläufen geschuldet, meinen die Autoren, beide Mitarbeiter des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik und an der Macromedia Hochschule für Medien in Hamburg.

One-Way-Journalismus

Des Wurzels Übel sehen Kramp und Weichert, die 35 Hauptstadtjournalisten, Lobbyisten und Kommunikationsberater befragten, unter anderem darin, dass der "Bonner Generalanzeiger", Leitmedium in der Bonner Republik, in der Berliner Republik keinen wirklichen Nachfolger gefunden hat. "Tagesspiegel" und "Berliner Zeitung" präsentierten jeweils nur einen Teil der Stadt und hätten kaum Ausstrahlung auf Gesamtdeutschland. Die digitalen Medien beschleunigten die Berichterstattung dramatisch. Online avanciere den Autoren zufolge "Spiegel-Online" zum Leitmedium.

Immerhin könnte man meinen, zwei den Ton angebende Tageszeitungen und deren Konkurrenzkampf könnten dafür sorgen, dass Pluralität sich fast von selbst ergäbe. Stattdessen ist vom One-Way-Journalismus die Rede, dem Schreiben nur in eine Richtung. Es sei heute schwerer denn je, sich dem Mainstream, der Hauptrichtung in Themensetzung und Anschauung entgegenzusetzen. Das berge die Gefahr einer "Spirale des Schweigens", verenge also die für die Demokratie notwendige Meinungsvielfalt.

Nur dem Umzug geschuldet?

Recherche wird zur bloßen Jagd auf Neuigkeiten. Diese werden unter dem sich verschärfenden Konkurrenzdruck immer rarer. Wer erhält die Informationen aus erster Hand und wer bringt sie zuerst auf den Markt? Blogger und Online-Kommentatoren überholen die herkömmlichen Printmedien locker und präsentieren ihre ganz eigenen Sichten. Professionelle Berichterstatter in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen haben kaum Zeit für aufwändige Recherche. Das alles ist ganz sicher nicht nur ein nationales - dem Regierungsumzug geschuldetes - Problem, sondern weltweit ein Zeichen der Zeit.


Macht des Subjektiven

Unternehmerische Interessen der Meinungsbildner brächten diese dazu, dem Beschleunigungs- und Konkurrenzdruck stattzugeben und jeden Vorteil im Meinungsgeschäft zu nutzen. Sie nehmen dabei eine engere Bindung von Politik und Journalismus in Kauf, die letztlich die Objektivität der Berichterstattung beeinträchtigt. Die Elite der Politikjournalisten sei so zu einer selbstbezogenen Kaste mit fehlender professioneller Distanz zum bzw. eigener Einbindung in das Politgeschäft geworden. Die Grenzen zwischen Polit-Werbung und journalistischem Kontrollmedium verschwömmen leicht. Für den Erfolg eines Politikers sei das gekonnte Spiel mit dem Medium immer wichtiger. Wirkliche Leistungen der Politik hingegen würden oft viel zu wenig sichtbar. Was Wunder, wenn die schnellen Blogger mit ihren subjektiv gefärbten Meldungen und Sichten das Geschehen stärker bestimmten.

Notwendigkeit des Professionellen

Allerdings ist, an eben dieser Stelle, dann doch auch wieder von der Notwendigkeit des professionellen politischen Journalismus zu hören, der subjektiv als wichtig empfundene Details in die größere Sicht der Gesamtzusammenhänge einzubinden vermöge. Die Korrekturfunktion erfordere Standhaftigkeit und sei für den einzelnen Journalisten auf Grund seiner Abhängigkeit von Nachrichten-Zugängen und Chefs nicht risikoarm.

Soviel ist gewiss: Der politische Hauptstadtjournalismus Deutschlands ist im Wandel begriffen. Noch scheint auch in Hinblick auf die Richtung sehr viel möglich zu sein. Die Medien der Hauptstadt haben einiges zu meistern. Vielleicht kann der von den beiden Kommunikationsforschern in ihrem Buch vorgestellte 10-Punkte Rettungsplan gegen denkonstatierten Verwahrlosungstrend dabei helfen.

Leif Kramp und Stephan Weichert "Die Meinungsmacher. Über die Verwahrlosung des Hauptstadtjournalismus", Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010, 304 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-455-50102-5

Autor*in
Dorle Gelbhaar

ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.

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