Karelien gehört zu den ältesten Kulturlandschaften Europas. Es erstreckt sich von St. Petersburg bis zum nördlichen Polarkreis und vom Finnischen Meerbusen bis zum eisbedeckten Weißen Meer im
Osten. Noch heute finden sich jahrtausendealte Steinzeichnungen, die das einstige Leben der Taigajäger dokumentieren. Die bewegende, dunkle Geschichte dieses hart umkämpften Landes ist jedoch kaum
bekannt. Es war Verbannungsort für politische Häftlinge in der Zeit der russischen Zaren, Stalin ließ dort den ersten Gulag errichten, der Russisch-Finnische Krieg und der Zweite Weltkrieg
zerrissen das Land. All diese Ereignisse hätten die Karelier zu einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt, so Bednarz.
Tradition und Moderne
Rund zweihundert bisher unveröffentlichte Bilder, die auf seiner Reise entstanden sind, illustrieren die außergewöhnliche Landschaft Kareliens. Hier findet sich Europas größtes
zusammenhängendes Waldgebiet. Verträumte Seen und wilde Flüsse prägen das Land genauso wie einzigartige kulturhistorische Denkmäler, Holzkirchen von bemerkenswerter Architektur. Neben Natur und
Kultur widmet sich Bednarz hauptsächlich den Menschen und ihren Schicksalen. Er erzählt von den Opfern aus der Stalin-Zeit, Bauern und Mönchen, Umweltschützern und Rentiernomaden, Fischern und
Holzfällern.
Bednarz zeichnet das Bild von einem Land, das - genauso wie seine geografische Lage - geprägt ist von zwei Extremen: Tradition und Moderne. Er erzählt von den Alten, die - früher Landarbeiter
in einer sowjetischen Kolchose - heute auf sehr altertümliche Weise allein die Felder bestellen und eher schlecht als recht leben. Die auf die Frage, ob es nicht ein sehr beschwerliches Leben sei,
antworten: "Wir leben, wie man in Russland lebt. Nicht gut und nicht schlecht." Man erfährt von jungen Menschen, die das Land auf russischer wie finnischer Seiten verlassen, weil es dort keine
Arbeit für sie gibt und die sich nicht mehr in der Landwirtschaft schinden wollen. Die aber gleichzeitig ein Interesse daran haben, die karelische Kultur zu bewahren und deswegen in der Schule
wieder Wepsisch lernen. Eine Sprache, die in Karelien vom Aussterben bedroht ist.
Geschichten und Geschichte
Das Buch ist eine Beschreibung der Menschen, ihrer Geschichten und der Geschichte des Landes. Bednarz schaffte es mit viel Einfühlungsvermögen an die Menschen heranzutreten, um ihre
Geschichten zu erfahren, ohne dabei eine persönliche Wertung einfließen zu lassen. Herausgekommen ist ein Buch, das fasziniert und die Lust weckt, dieses einzigartige Land und seine Menschen kennen
zu lernen. Die zahlreichen Fotografien zeigen eindrucksvolle Landschaften und dokumentieren das Leben in einem Land, in dem die Zeit still zu stehen scheint.
Mamke Kühl
Bednarz, Klaus: Das Kreuz des Nordens. Reise durch Karelien. Rowohlt, Berlin 2007, 256 Seiten, gebunden, ca. 200 farbige Abbildungen, 19,90 €, ISBN: 978-3-87134-578-4
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