Kultur

Hannas schlafende Hunde: Bleierne Zeit in der Alpenrepublik

Nur nicht aufzufallen ist das oberste Gebot: Der Film „Hannas schlafende Hunde“ zeigt eine Kindheit unter Antisemiten in den 60er-Jahren in Österreich.
von ohne Autor · 10. Juni 2016
Trotzen der bleiernen Zeit: Hanna (Nike Seitz) und Ruth (Hannelore Elsner)
Trotzen der bleiernen Zeit: Hanna (Nike Seitz) und Ruth (Hannelore Elsner)

Österreich, das Biotop der Ewiggestrigen: Seit dem Beinahe-Triumph der rechtspopulistischen FPÖ bei der Wahl des Bundespräsidenten ist dieses Bild von der Alpenrepublik auch für Außenstehende wieder bedrückend aktuell. Österreichs Künstler arbeiten sich seit Jahrzehnten an dem Rassismus und der Bigotterie ab, die sich nicht nur, aber vor allem in der Provinz hartnäckig halten. Man denke nur an die Cartoons eines Manfred Deix, in denen sich feiste, versoffene Spießer-Brutalos tummeln.

Täter als Opfer

Einer dieser Kämpfer wider den bornierten Zeitgeist ist der Regisseur Andreas Gruber. In seinem Film „Hasenjagd“ erzählt er von freiwilligen Nazi-Helfern, die während der letzten Kriegswochen Jagd auf KZ-Häftlinge machen. In „Hannas schlafende Hunde“ geht er erneut den Folgen der NS-Herrschaft in Österreich nach, allerdings mit einem anderen zeitlichen Fokus. Wels, im Jahre 1967: Die neunjährige Johanna lebt mit ihrer Familie in einem idyllischen Wohngebiet, in dem zunächst alles perfekt scheint. Wäre da nicht die ihr unerklärliche Ablehnung, die das Mädchen immer wieder von ihren Nachbarn erfährt.

Die ohnehin verschlossenen Eltern weichen ihren Fragen aus. Sie predigen ihr immer wieder, bloß nicht aufzufallen, verbieten ihr und ihrem Bruder sogar die Reise zu einem Musikwettbewerb. Ein friedvolles Leben als graue Maus: Gegen diese Haltung redet Johannas Großmutter Ruth schon seit langem hartnäckig an, setzt Mutter und Vater unter Druck. Eines Tages offenbart sie Hanna, dass sie Jüdin ist. So wie auch ihre Mutter, der Bruder und eben auch Ruth selbst.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Elisabeth Escher, die darin ihre eigene Familiengeschichte aufgearbeitet hat. Gruber zeigt uns eine Welt der blassen Farben und wortkargen Menschen, in der Antisemitismus zwar nicht offen gezeigt wird, aber weit verbreitet ist. Hinzu kommt das Selbstbild der Mitläufer und Täter, selbst zum Opfer geworden zu sein. Als Soldaten fühlten sie sich um den Sieg gebracht. Zugleich sahen sich als erste Opfer von Hitlers Eroberungspolitik – ein bis heute gängiges Geschichtsbild. Empathie für Juden und andere Verfolgte des Hitler-Regimes ist von diesen Leuten nicht zu erwarten. Mit ihnen lebt Johanna Tür an Tür. Sonntags trifft man sich bei der Messe.

Hinreißendes Duo

Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die ihre jüdische Identität stets verheimlicht hat, folgt Johanna fortan dem Credo ihrer Oma: Die Alternative zum Opfer sein heißt nicht Täter werden, sondern frei sein. Dazu gehört auch, dass Johanna ihre Mutter mit unbequemen Fragen bombardiert. So wird manch Wunde aus der Kriegszeit, die Ruth mit ihren beiden Töchtern nur knapp überlebt hat, wieder aufgerissen. Und die Nachbarn zeigen immer mehr ihr wahres Gesicht.  Wir erleben, wie Johanna mit einer Mischung aus Erkenntnisdrang und Unbekümmertheit ihre Wurzeln entdeckt. Sie gewinnt dadurch einen neuen Blick auf ihr Leben, steht aber auch ungeahnten Gefahren gegenüber. Stets unterstützt wird sie von Ruth, die ebenfalls einige unbewältigte Dinge mit sich herumschleppt. Auch ihre Erblindung hat eine ganz besondere Vorgeschichte.

Den Fokus auf Johanna und ihre Familie zu legen, hätte für eine starke Handlung genügt. Insbesondere die Beziehung zwischen Ruth und den Töchtern bietet einige Untiefen, die tiefer auszuloten gewesen wären. Stattdessen bettet Gruber diese Geschichte eines Kindes in ein Panoptikum ein, wo es von Boshaften, Widerwärtigen und Niederträchtigen nur so wimmelt. Manch einer scheint einem Deixschen Cartoon entstiegen zu sein. Hier wäre weniger wäre mehr gewesen. Das hat zum Nachteil, dass die Entwicklung des Mädchens aus dem Blickfeld gerät.

Andererseits entsteht dadurch ein intensives Gefühl für jene Zeit. Auch ist die Figur der blinden Großmutter arg überzeichnet: eine Dame von Welt, die „mit dem Herzen besser sieht als die anderen“, obendrein als Kontrast zur unscheinbaren Tochter. Andererseits gibt das zurückgenommene Spiel von Hannelore Elsner der Oma-Figur ein großes Maß an Glaubwürdigkeit zurück. Gemeinsam mit Nike Seitz, die mit einer facettenreichen Darstellung der Johanna glänzt, gibt sie ein hinreißendes Duo ab. Beide stehen für einen Willen zur Selbstbehauptung, die die Generation zwischen ihnen erst wieder lernen muss.

Info:

„Hannas schlafende Hunde“ (Deutschland/Österreich 2016), Regie: Andreas Gruber, nach dem gleichnamigen Roman von Elisabeth Escher, mit Hannelore Elsner, Franziska Weisz, Nike Seitz, Rainer Egger u.a., 120 Minuten

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