Kultur

Hallische Dramaturgie

von Bernhard Spring · 12. November 2010
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Geld und Kunst gingen noch nie verträglich einher. Spitzweg malte den armen Poeten in der nasskalten Dachstube, Grillparzer rang um jeden Groschen Honorar und Irmgard Keun brachte schließlich ihr "Kunstseidenes Mädchen" von der Darstellerin zur Gelegenheits-Prostituierten. Die Geschichte der Kunst - und besonders der Bühnenkunst - ist ein endloses Feilschen um Prozente und Tantiemen, Honorare und Gebühren.

Geld und Kunst - das waren immer schon zwei Gegensätze, in Hassliebe verbunden: Das Kapital sah spöttisch auf die verträumte Kunst herab, doch mehrte sich aus eben diesen Träumereien. Und die Kunst? Sie verdankte dem Geld neben der puren Existenz ihrer Schöpfer einige ihrer schönsten Inspirationen: Shakespeares Shylock, Molières Geiziger, Feuchtwangers Jud Süß …

In Halle hatte es die Theaterwelt schon immer schwer. Zwar verkehrten hier die Großen der Literatur, doch die städtischen Bühnen hatten die Pietisten verboten. Wer im preußisch-biederen Halle Theater genießen wollte, musste nach Sachsen wandern: Goethes Bühne in Lauchstädt, der Schlossgartensalon in Merseburg, die Theater Leipzigs.

Die Zeiten haben sich inzwischen gewandelt. Eichendorff flaniert nicht mehr durch Halle, kein Goethe, Tieck, Brentano weit und breit. Dafür Peter Sodann. In die sozialistisch-realistische Kulturwüste baute er die Kulturinsel: Theater und Puppentheater unter einem Dach, beides über die Pleitejahre der Neunziger gerettet.

Aber dann wurde Sodann abgelöst. Persönliche Rivalitäten, Ehrgefühl, geknicktes, Intrigen und Machtdemonstrationen folgten. Am Ende stehen Sodann, der nun in der Politik nach Anerkennung sucht, und seine Kulturinsel getrennt. Das Theaterhaus wirbt um Abonnenten, denn nach wie vor ist die Kulturinsel in erster Linie eine Insel inmitten der Stadt …

2008. "Theater der Welt" in Halle. Eine Mischung aus Größenwahn und Anerkennungsdrang holte das Festival an die Saale. Für ein paar Tage sind die Bühnen der Stadt gefüllt. Opernhaus, Puppentheater, Staatskapelle, neues theater, Thalia Theater - fast immer ausverkauft. Doch der Schein trügt: Das Festival kostet die Stadt mehr, als es ihr einbringt. Die Bühnen schwanken und werden notgedrungen zu einer GmbH zusammensaniert.

Und nun? Lernt man aus der Misere? Lernt man endlich wirtschaften? - Warum mit der Tradition brechen? Fünf Bühnen arbeiten für sich, die GmbH existiert nur auf dem Papier und in den Köpfen weniger Idealisten. Die Künstler aber … Wagners "Ring" wird kostspielig an der Oper inszeniert, weitere Großprojekte folgen, und dies und das und alles kostet und bringt wenig ein.

Am Ende stehen ein Defizit von 940.000 Euro und die bange Frage, wie es weiter gehen soll. Griechische Verhältnisse in der Saalestadt. Doch es ist die griechische Tragödie, die hier nun gegeben wird: Für das Allgemeinwohl muss ein Einzelner geopfert werden, und dieser heißt Thalia Theater. Die anderen Bühnen stehen betreten da, scharren mit den Füßen und hüsteln verhalten. Das neue theater, die Oper. Das Puppentheater. Die Staatskapelle.

Sparen? Aber nicht bei der Kunst! Weil vier Häuser den Gürtel nicht enger schnallen wollen, muss das fünfte Rad am Wagen abgestoßen werden. Kann das Programm der Thalia, die auf Kinder- und Jugendstücke spezialisiert ist, ersetzt werden? Die GmbH sagt ja, die GmbH behält sich vor, Recht zu haben, und ist für weitere Stellungnahmen nicht mehr zu erreichen. Betretenes Schweigen. Der Stadtrat tagt. Und tagt. Und nicht weiter. Die Presse tobt, aber verhalten. Die bald arbeitslosen Künstler marschieren auf, aber ohne Gegenkonzept. Auch die Thalia weiß nicht zu sparen. Und die Bürger? Ja, die Bürger! Die überlegen, wann sie zum letzten Mal im Theater gewesen sind. Und in welchem Stück überhaupt. Ja, das war schön … Aber lange her. Vielleicht gehen andere öfter. Ja, dann wäre es natürlich schade, das mit der Schließung …

Autor*in
Bernhard Spring

erhielt 2008 den Literaturpreis des Landes Sachsen-Anhalt, 2011 erschien sein erster Roman, „Folgen einer Landpartie“.

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