Günter Grass, Nobelpreisträger und Sozialdemokrat, ist gestorben
Günter Grass konnte ziemlich heftig austeilen und war leicht zu verletzen. Er hat zauberhafte Bücher geschrieben wie „Die Blechtrommel“, seinen Welterfolg, aber auch „Das Treffen von Teltge“, jenen kleinen Band über die Versammlung der deutschen Barockdichter in Teltge bei Münster 1647, wo zur gleichen Zeit um den Westfälischen Frieden geschachert wurde.
Die NS-Zeit, die Last seiner Generation
Ich erinnere ein langes Gespräch in seinem Atelier in Behlendorf bei Lübeck an einem hellen Novembertag. Pfeife rauchend schaut er hoch, blickt sehr nachdenklich: „Ich möchte mal etwas über diese Generation sagen, die da morgen oder übermorgen weg sein wird. Das merkt man erst hinterher, dass das, was auch Last war, also geprägt und verformt durch die Zeit des Nationalsozialismus, der eine mehr, der andere weniger; die Schwierigkeit des Kriegsendes, der Nachkriegszeit, des Sich-Selbst-Findens nach einer bedingungslosen Kapitulation, die im Nachhinein als Befreiung deklariert, aber doch erstmal als Niederlage empfunden wurde. Jedenfalls innerhalb meiner Generation. Dann einen Weg zu suchen, sich zu orientieren, frei von Zwängen und Ideologie. Das hat, bei allen Schwierigkeiten, eine Erfahrung anwachsen lassen, die der nachfolgenden Generation in dem Maße nicht zuteil wurde.“
Im Jahr 2006 erscheint eine Art Autobiographie, „Beim Häuten der Zwiebel“. Durch sie wird bekannt: Günter Grass war zur Waffen-SS eingezogen worden. Als 17-jähriger. „Ich gehörte zu den gebrannten Kindern. Aber ich habe meine Lektionen verstanden, habe daraus die Konsequenzen gezogen.“ Er war ein Einzelgänger, jemand, der sich nicht anpassen wollte, in den letzen Jahrzehnten zurückgezogen lebte. Jemand, der immer wieder seine Stimme erhob. Beim Wiedervereinigungsprozess, den er so nicht bezeichnen wollte. Mit seiner Kritik an der israelischen Regierung, was deren Iran- und Palästina-Politik betraf.
Der engagierte Sozialdemokrat Grass
Von 1953 bis 1956 studiert er in Berlin an der Hochschule der Künste, der späteren UdK, Bildhauerei bei Karl Hartung. Geht danach drei Jahre nach Paris und zieht 1959 wieder nach Berlin, in den Stadtteil Friedenau. Sein Nachbar ist Uwe Johnson. Anfang dieses Jahrtausends besuchte er seine alte Hochschule auf Einladung ihres damaligen Präsidenten Lothar Romain. Sichtlich gerührt lässt sich Grass von ihm begrüßen, nimmt am alljährlichen Sommerfest teil mit all den Jugendlichen aus dem In- und Ausland: „Dieser jungen Generation ist die Zukunft teilweise vernagelt. Das ist eine ganz neue Erfahrung.“
Der Kritiker des kapitalistischen Systems
Grass blickte auf ein Wirtschaftssystem, das verrottete, auf eine Demokratie, die in Gefahr war: „Es ist nicht zwangsläufig. Es liegt daran, dass dieses System nicht reformfähig ist oder sich nicht als reformfähig erweist. Wir haben Warnungen genug bekommen. Es wurde auch gesagt, woran es liegt: Die Banken müssten in ihrer Macht kontrolliert werden. Aber es ist bislang nichts geschehen, was dieses verrückt spielende Finanzsystem unter Kontrolle bringt.“
Die Systemfrage hat ihn bis an sein Lebensende beschäftigt. „Denn wenn das zusammenkracht, wird dieses Vakuum von rechts ausgefüllt. Das hat nichts mit dem herkömmlichen Faschismus oder Nationalismus zu tun, sondern mit rechten Glaubenssätzen in allen möglichen zeitgenössischen Spielarten.“
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ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).