Das Panorama ist atemberaubend. Die Kamera nimmt einen über steile, schneebedeckte Abhänge mit. Die aufgehende Sonne bestrahlt das Alpenmassiv. Die Höhe ist spürbar. Der Atem stockt. Unwillkürlich greift der Zuschauer in seine Armlehne. Man sucht Halt. Dazu spricht Reinhold Messner. Er erzählt vom Bergsteigen. Für einen Moment könnte man denken, es seien seine Berge.
Reinhold Messner ist berühmt. Geradezu berüchtigt. Alle Achttausender dieser Welt bestiegen. Der erste Mensch, der den Mount Everst ohne Sauerstoff bezwang und vieles mehr. Scheinbar gibt es für ihn keine Grenzen. Und das macht ihn für viele unsympathisch. Zu wenig achte er die Gefahr, die Bergsteigerszene und seine Vorbildfunktion, lauten die Vorwürfe. Viele halten ihn für arrogant. Darunter die Bergsteigerlegende Louis Trenker. Im Film eingespielt, lobt er den Bergsteiger bewundernd und kritisiert den Menschen Messner.
Der Film „Messner“ bestätigt dieses Bild des Ausnahmebergsteigers geradezu konzeptionell. Die Mischung aus Spiel-und Dokumentarfilm kennt nur einen Konstante. Reinhold Messner. Familie, Bergsteiger und Experten sind Beiwerk für die Hauptfigur. In allem behält der Süd-Tiroler das letzte Wort. Er wirkt manchmal erdrückender als die Schneemassen, welche die Nepal-Hochebene herunterstürzen.Und doch ist der Film für jeden, der sich für Berge und deren Bezwingen begeistert, ein Muss. Seine Fans werden Reinhold Messner danach noch mehr bewundern. Seine Kritiker sich in ihrem Messner-Bild bestätigt fühlen. Was alle verbinden sollte, ist der Blick des Films auf die Motivation Messners. Was treibt diesen Menschen an? Was treibt Menschen generell an, sich in diese lebensunwirtliche Gegenden zu begeben? „Messner“ bietet Antworten auf diese Fragen. Das macht ihn sehenswert!
Schlüssel in der Kindheit
Der Film zeigt anschaulich, wie Reinhold Messner heranwuchs und wie ihn das prägte. Als Sohn eines armen Lehrers, umringt von zahlreichen Geschwistern, musste er sich früh durchkämpfen. Es galt zuerst, die Enge des Tals Villnöß zu überwinden. Bereits als Schüler bestieg Messner einige hohe Berge und kam auch in die Gebirgsregionen des angrenzenden Frankreichs. Doch mit Autoritäten hatte er seine Schwierigkeiten. Das Abitur musste er privat nachholen. Gescheitert nicht an der eigenen Leistung, sondern weil er in der Klasse und vor dem Lehrer nicht vom Bergsteigen berichten wollte. „Das ging nur mich etwas an, niemanden sonst“, berichtet Messner im Film über seine Jugend.
Noch tiefer reichte der Konflikt mit dem Vater. Der akzeptierte weder den Beruf „Bergsteiger“, noch Messners sonstige Einstellung zum Leben. Und der progressive Sohn konnte sich im Gegenzug schwer in den aus dem Krieg zurückgekehrten und konservativen Vater hineinversetzen, der seine Kinder oftmals schlug.
Umfeld und Höhen wollte und musste er überwinden. Letztlich versucht Messner, in allem was er tut, ständig Grenzen umzustoßen. Und der Berg, eine Wand, ist nichts anderes als ein Hindernis, das überwunden werden muss. Am besten direkt und ohne Kompromisse. Das erklärt wahrscheinlich, weshalb Messner oft alleine, was für die Zeit unüblich war, agierte. „Messner“ zeigt einen Protagonisten, der sich nicht frei von Angst und tollkühn in die Höhe stürzt, sondern zeichnet ein vielschichtiges Bild einer extremen Persönlichkeit. Die Angst ist ständiger Begleiter, das Erklimmen der Berge ein ständiges Auseinandersetzen mit der Furcht. Die Geschwindigkeit im Aufstieg, die Messner in den Alpinsport brachte, eine Minimierung der Reflexion über die Gefahr. Ganz klein zu kriegen ist sie dennoch nicht.
Tod des Bruders
Treuer Begleiter im Sprengen von Ketten, in der Familie und am Berg, war sein Bruder Günther Messner. Zwischen den beiden entstand schnell ein enges Band. Im Film tröstet der Jugendliche Reinhold Messner den vom Vater geschlagenen Günther zärtlich. Die ersten Bergsteigerschritte bewältigen sie gemeinsam. „Wir waren eine ganz besondere Seilschaft“,erinnert sich Reinhold Messner.
Beide entwickeln sich mit zu den besten Bergsteigern Europas. Der jüngere Günther hängt dem älteren Reinhold dennoch etwas hinter her. Und so wird 1970 nur Reinhold Messner zu einer Nanga-Parbat-Expedition eingeladen. Durch die kurzfristige Absage eines Expeditionsteilnehmers rückt Günther Messner nach. Es sollte sein letzter Gipfelsturm werden. In der Spielfilmsequenz setzt sich Reinhold für Günther ein und schenkt im die Expedition sozusagen zu Weihnachten. Diese Szenen wirken teilweise furchtbar steif und gestellt. Sie spulen einfach die Ereignisse vor 40 Jahren nach. Es fehlt ihnen an Leben. An Gefühl.
Wie die Todesumstände Günther Messners tatsächlich gewesen sind, ist umstritten. Sicher ist, dass Günther seinem Bruder überraschend zum Gipfel nachstieg. Beide kämpften sich über die Rupalwand, die damals noch undurchstiegene höchste Steilwand der Welt, in Richtung Gipfel. Beim Abstieg über die Diamirwand kam Günther Messner unter einer Lawine zu Tode. Expeditionsteilnehmer, welche das Brüderpaar beim Abstieg trafen, berichten heute, dass Reinhold Messner keine Hilfe für den höhenkranken Bruder verlangt habe.
An der Stelle im Film, die sich dem toten Bruder widmet, wird Reinhold Messner einsilbig. Da entgleitet ihm die Sicherheit, die ihn zu einem der besten Bergsteiger und zu einem glänzenden Geschäftsmann gemacht hat. Der große Erzähler Messner verliert den Halt. Der Tod des Bruders am Nanga Parbat hat tiefe Spuren hinterlassen. Jede weitere Höchstleistung wurde zu einer versteckten Suche nach dem verschollenen Bruder.
Extremsportler und Versöhnung
Anfang der achtziger Jahre wendet sich Reinhold Messner von den Bergen ab und durchwandert Wüsten und Pole. Bei einer Pol-Expedition kommt er wieder in eine lebensbedrohliche Situation. Wieder ist ein Bruder sein Begleiter. In Kälte und Gefahr verwechselt Reinhold Messner den toten Günther mit seinem lebenden, jüngeren Bruder. Immer wieder ruft Reinhold nach Günther, der seit vielen Jahren tot ist. Erst nach Minuten erkennt er den eigenen Bruder wieder. Günthers Tod hat ihn nicht losgelassen. Reinhold Messner übersteht auch diese Gefahr.
Er geht seinen eigenen Weg. Verantwortungsvoll ist er dabei nicht. Aber das ist für ihn auch keine Kategorie. Im Inneren ist er einfach der Süd-Tiroler Junge geblieben. Der raus will. Hoch hinaus. Gipfel erklimmt, Wüsten durchwandert. Immer auf seine Art und Weise. Alles mit seinem Bruder Günther, der seit 40 Jahren tot ist und ihn doch begleitet. Gegen Ende des Films kann Reinhold Messner mit seinen Geschwistern die sterblichen Überreste des Bruders am Nanga Parbat verbrennen. Er wirkt versöhnt. Zum ersten Mal.
„Messner“ versöhnt seine Zuschauer sicher nicht mit Reinhold Messner. Er erklärt ihn aber. Gibt ihm Raum, wenn auch manchmal zu viel, sich darzustellen. Man wünscht sich eine kritische Einordnung Reinhold Messners für den Bergsport. Die Zweifel an ihm werden bleiben genauso wie die Bewunderung. Nach „Messner“ kann man sich zumindest vorstellen, wie Reinhold Messner zur Popfigur des Bergsteigens werden konnte, was ihn antreibt und weshalb viele nicht mit ihm warm werden.
Messner, Regie Andreas Nickel, mit Reinhold Messner, Hans Kammerlander, Peter Habeler u.a Deutschland 2012 Kinostart 27.September