Gibt es eine politische Alternative mit der SPD?
Über seine Kritik an der gegenwärtigen Politik der großen Koalition diskutiert der Journalist mit der SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. „Ich weiß, wie groß der Wohlstand in Deutschland ist, aber unter der Oberfläche verbirgt sich eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit“, sagt er. Angela Merkel lulle das Volk ein, indem sie erklärt, die Deutschen lebten auf einer Insel der Glückseligen umgeben von Risiken und machten am besten immer so weiter wie bisher. Aber: „Das ist nicht wahr“, so Hebel.
Seiner Meinung nach sei es Aufgabe der SPD, für eine politische Alternative zu sorgen. Stattdessen habe sie mit ihrer Entscheidung für eine große Koalition noch zum Stillstand beigetragen. „Von einer gerechteren Steuerpolitik, wie noch vor der Bundestagswahl im Herbst 2013 versprochen, hat sich die SPD in dieser Legislaturperiode verabschiedet“, kritisiert er.
Minderheitsregierung statt großer Koalition?
Die Generalsekretärin widerspricht. Es habe keine gesellschaftliche Mehrheit für diese Politik gegeben, erklärt sie. Nur 26 Prozent hätten die SPD und ihr Wahlprogramm gewählt. Die zentrale Forderung nach einer Steuerreform habe man in der großen Koalition nicht umsetzen können. Dafür aber viele andere sozialpolitisch wichtige Reformen wie die Einführung eines Mindestlohns, sagt Fahimi.
Hat die Sozialdemokratie ihre Werte an der Tür der Großen Koalition abgegeben? Hebel sagt ja. Eine große Koalition wäre nicht zwingend notwendig gewesen, argumentiert er. „Ich hätte mir gewünscht, man hätte Frau Merkel in eine Minderheitsregierung gezwungen, um politische Entscheidungen endlich wieder ins Parlament zu verlegen“, verkündet er. „Das hätte Frau Merkel niemals getan!“, antwortet Fahimi postwendend. Dieses Gedankenspiel habe es kurzzeitig auch in der SPD gegeben, aber die Alternative wären Neuwahlen gewesen, fügt sie hinzu. Zudem hätten drei Viertel der SPD-Mitglieder in einem Mitgliederentscheid ihr Votum für eine große Koalition gegeben.
Wir haben ein Reichtumsproblem
Doch stimmt Fahimi der Frage des Autors zu, ob wir unsere Zukunft verschlafen? „Wir haben ein Reichtumsproblem in Deutschland“, erklärt die SPD-Generalsekretärin. „Ich halte den Weckruf für berechtigt.“ Sie sei in Sorge darüber, dass 25 Jahre nach dem Mauerfall in Ostdeutschland nur jeder Zweite wählen gehe. Doch sie wisse nur zu gut, dass Wählermüdigkeit auch ein Westproblem sei.
Doch warum wählen die Leute nicht? Warum wehren sie sich nicht? Dass Bedürfnis, in einer Welt voller Risiken sein eigenes Leben zu erhalten, sei verständlich, aber ein Irrtum, erklärt der Germanist Hebel. Die Sozialversicherung lasse sich absehbar nicht mehr nur über Arbeitnehmerbeiträge finanzieren. Die Jugend habe für das Modell einer sozialfinanzierten Rente schon jetzt nur noch ein Lachen übrig. Dieses Denken sei Ergebnis von 25 Jahren Neoliberalismus, der Hebel an eine Aussage Maggie Thatchers erinnert, die sagte: „ So etwas wie Gesellschaft gibt es bei uns nicht.“
Fahimi teilt diese Analyse. Die SPD müsse gegen Entsolidarisierung ein soziales Profil aufbauen, um Menschen davon zu überzeugen, dass Politik gestaltbar ist. „Wir müssen eine Politik machen, die bei den Menschen spürbar ankommt“, ist Fahimi überzeugt und verweist auf die Einführung des Mindestlohns. „Das ist eine soziale Errungenschaft für 3,7 Millionen Menschen, die unter 8,50 Euro die Stunde arbeiten müssen.“ Diese Politik erreiche die Menschen unmittelbar.
Hier finden Sie eine Rezension des Buches: Deutschland im Tiefschlaf
Stephan Hebel: Deutschland im Tiefschlaf. Wie wir unsere Zukunft verspielen. Westend-Verlag, Frankfurt/Main 2014, 235 Seiten. ISBN 978-3-86489-067-3, Euro: 16,99
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.