Am 8. Oktober 1992 starb Willy Brandt, eine der „europäischen Jahrhundertpersonen“, wie der Historiker Klaus Schönhoven betont. Anlässlich des 20. Todestages hat er eine Sammlung Brandts Reden zur sozialdemokratischen und deutschen Geschichte herausgebracht: „Willy Brandt. Im Zweifel für die Freiheit“.
„Politiker mit Autoren im Dialog“, darauf basiert das Programm des vorwärts auf der Frankfurter Buchmesse. Nicht so bei dieser Veranstaltung: Denn der Autor der Texte, niemand geringeres als Willy Brandt, ist bereits seit zwanzig Jahren tot. Und so sprach der Herausgeber gesammelter Reden Willy Brandts, Klaus Schönhoven, mit seinem Historiker-Kollegen Bernd Faulenbach über den verstorbenen Politiker.
Willy Brandt war eine hochkomplexe Figur, darin sind sich die beiden Experten einig. Die von Schönhoven zusammengestellten 25 Reden zur sozialdemokratischen und deutschen Geschichte zeigen einen weiteren Aspekt Brandts, die ihn verstehen helfen. Dabei ging es dem Herausgeber und Historiker weniger um den Politiker, als vielmehr um den „Geschichtsdenker“ Willy Brandt. „Brandt ist unter den deutschen Politikern als Historiker ein Monument. Sie werden keinen finden, der sich so sehr mit der Geschichte auseinander gesetzt hat“, so Schönhoven.
„Ein interessantes, aber auch überaus voluminöses Buch“, urteilt sein Kollege Bernd Faulenbach und ermuntert zur Lektüre des über 800 Seiten starken Buches: „Es gibt wenige Bücher über Brandt, die so viele neue Erkenntnisse über die historische Fundierung Brandts bieten wie dieses“, so Faulenbach. „Dass er so viel über die Weimarer Republik geredet hat, war mir vor dem Buch gar nicht bewusst“, so der Historiker.
"Das ist alles Historikergeschwätz"
Brandt hatte dabei stets eine eigene Einschätzung dieser Zeit. So beurteilte er die Weimarer Republik Zeit seines Lebens anders, als es die Historiker getan haben, „nämlich aus seiner persönlichen Erfahrung heraus“, sagt Schönhoven. Brandt, 1913 geboren, warf der Sozialdemokratie seither vor, bei Hitlers Machtergreifung 1933 zu ängstlich gewesen zu sein. Sie hätte nicht nur mit Worten, sondern auch mit Waffen dem Nationalsozialismus entgegentreten müssen, so seine Auffassung.
Die Argumente der Historiker, die die Sozialdemokratie der Zeit indes verteidigte, ließ er auch fünfzig Jahre später nicht gelten. So schimpfte er auf einem Kongress anlässlich des 50. Jahrestages von Hitlers Machtergreifung 1933 über einen entsprechenden Vortrag der renommierten Historikerin Helga Grebing: „Das ist alles Historikergeschwätz“, wie Schönhoven zu berichten weiß.
Bei seinen Geschichtsbetrachtungen ist es Brandt, das wird in den Reden deutlich, nie um einen nostalgischen Rückblick gegangen. „Wenn Brandt in die Vergangenheit schaute, dann immer mit einem Blick in die Gegenwart“, so Faulenbach. Dem stimmt auch Schönhoven zu: Er habe aus der Geschichte Lehren ziehen wollen. „Willy Brandt hat einmal gesagt: Man muss eine Vergangenheit haben, um aus dieser Vergangenheit für die Zukunft lernen zu können“, so der Herausgeber weiter.
Klaus Schönhoven (Hg.): Willy Brandt. Im Zweifel für die Freiheit. Reden zur sozialdemokratischen und deutschen Geschichte
Dietz Verlag, 864 Seiten, 36,00 Euro
ISBN 978-3-8012-0426-6
ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.