1878 - 1949
Die moderne Geschichte der Insel beginnt 1878: Die Briten nutzten die günstige Gelegenheit der auf dem Berliner Kongress (vorläufig) beigelegten Orientalischen Krise, um Zypern zu besetzen.
Sie sollten die Insel erst 1960 in die Unabhängigkeit entlassen, ohne aber wirklich zu gehen: Auch heute noch besitzt das Vereinigte Königreich dort zwei souveräne Stützpunktgebiete.
Die Bilanz der britischen Kolonialherrschaft bis Mitte des 20. Jahrhunderts ist recht zwiespältig:
Pro: Es gelang, die Korruption zu beseitigen und Verwaltung, Polizei, Gerichts- und Steuerwesen zu modernisieren. In der Weltwirtschaftskrise retteten durchgreifende Maßnahmen die hoch
verschuldeten Bauern. Genossenschaften und Sparkassen entstanden, die Schulden wurden stark reduziert. Die beherrschende Stellung der Wucherer wurde beseitigt. Das aus der griechischen Politik
sattsam bekannte Klientelsystem konnte im modernen Zypern deshalb nicht Fuß fassen.
Kontra: Die drückenden Steuern machten jeden wirklichen wirtschaftlichen Fortschritt unmöglich. Die sehr bescheidenen Mitwirkungsrechte der Zyprioten wurden nach den Oktoberunruhen von 1931
beseitigt. Bis zur Unabhängigkeit gab es nur auf kommunaler Ebene gewisse Selbstverwaltungsrechte. Politisch wurden die Zyprioten also weitgehend unvorbereitet in die Unabhängigkeit entlassen. Die
Kolonialherren spielten Inselgriechen und -türken gegeneinander aus. Entgegen dem griechischen Streben nach Unabhängigkeit (bzw. nach Vereinigung mit Griechenland) stützten sich die Briten auf die
Türken der Insel. Diese Politik des Divide et Impera verschärfte die Probleme.
1950 - 59
1950 stimmten die zypriotischen Griechen in einer von der Kirche organisierten Volksabstimmung mit überwältigender Mehrheit für den Anschluss an Griechenland, die Enosis. Damit begann der
Kampf um die Unabhängigkeit. Das starre Festhalten an diesem Ziel führte zur Ablehnung britischer Angebote, die Selbstverwaltung zu gewähren. Diese war in anderen Kolonien ein Zwischenschritt auf
dem Weg in die Unabhängigkeit. Wären die Zyprioten auf diese Vorschläge eingegangen, hätten sie die Unabhängigkeit möglicherweise unter günstigeren Bedingungen erreicht, als dies später geschah.
Die Briten weigerten sich, Zypern, das nach dem Verlust der ägyptischen Kanalzone der letzte britische Stützpunkt im östlichen Mittelmeer war, aufzugeben. Griechenland unterstützte die
Inselgriechen, brachte die Zypernfrage vor die UNO und internationalisierte sie damit. Die Türkei schaltete sich in die Auseinandersetzungen ein. Wie die Inseltürken lehnte sie die Enosis strikt
ab. Sie forderte zumindest einen großen Stützpunkt, letztlich die Teilung der Insel (Taksim), auch doppelte Enosis genannt. Angesichts dieser Standpunkte führten die jahrelangen, von Richter
detailliertbeschriebenen Verhandlungen über eine Lösung der Probleme nicht zum Erfolg.
Erheblich verschärft wurde die Lage durch den bewaffneten Widerstand der EOKA, der am 1. April 1956 begann. Einerseits konnte er die britische Herrschaft zwar nie ernstlich gefährden,
andererseits konnten die britischen Truppen die EOKA nie völlig ausschalten. Angesichts der geringen Größe der Insel und des guten Straßennetzes scheiterten Versuche, eine Guerilla zu führen; die
Tätigkeit der EOKA beschränkte sich im Wesentlichen auf Sprengstoffanschläge und die Aktionen von Killerkommandos.
Die meisten Opfer der EOKA waren im Übrigen nicht britische Soldaten oder Polizisten, sondern griechische Zivilisten, die als "Verräter" umgebracht wurden. 1958 kam es erstmals zu bewaffneten
Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen, die bereits mit Flucht und Vertreibung verbunden waren.
Angesichts der aussichtslosen Lage waren die Briten schließlich bereit, die Insel aufzugeben, vorausgesetzt, sie konnten ihre Stützpunkte behalten. Zu einer Lösung kam es schließlich
überraschend durch direkte Verhandlungen zwischen den Regierungen Griechenlands und der Türkei 1958/59, die von den Briten gebilligt wurde. Zypern wurde unabhängig, die Briten erhielten ihre
souveränen Stützpunktgebiete, die Griechen verhinderten die Teilung und die
Türken die Enosis.
Die Türken der Insel bekamen sehr weitgehende Rechte als zweites Staatsvolk - gegen sie konnte nicht regiert werden. Großbritannien, Griechenland und die Türkei hatten als Garantiemächte das
Recht gemeinsam oder auch einzeln zu intervenieren, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen, wenn sie gefährdet war. - Mit diesem Recht begründete die türkische Regierung die Invasion
von 1974.
1959 - 1965
Die komplizierte Regelung der Zypernfrage setzte voraus, dass alle Beteiligten zur Zusammenarbeit und zum Kompromiss bereit waren. Davon konnte auf beiden Seiten nicht die Rede sein. Das
Ergebnis war eine gegenseitige Blockade, die schließlich das staatliche Handelnvöllig lahm legte. Um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, kam Makarios auf eine verhängnisvolle Idee. Er
schlug in seinen 13 Punkten vom Oktober 1963 tief greifende Verfassungsänderungen vor, deren Verwirklichung die Verfassungsblockade zwar aufgehoben, zugleich aber die Inseltürken ihrer wichtigsten
Rechte beraubt hätte. Letztere lehnten ebenso wie die türkische Regierung die 13 Punkte natürlich entschieden ab. In dieser äußerst kritischen Situation genügte ein kleiner Zwischenfall, um Ende
1963 eine gewaltsame Entladung der Spannungen herbeizuführen.
Der kurze Bürgerkrieg der folgte, war von Morden, Entführungen, Flucht und Vertreibung geprägt. Schließlich lebte ein großer Teil der Türken der Insel in Enklaven, die von den Verbänden der
nun rein griechischen Regierung mit einem Blockadering umgeben wurden. Zu einer politischen Lösung kam es auch diesmal trotz intensiver Verhandlungen der interessierten Staaten nicht; es wurde
lediglich eine UNO-Truppe (UNFICYP) gebildet, welche die kämpfenden Parteien trennen sollte. Sie erfüllt diese Aufgabe auch noch heute, 43 Jahre später.
1963/64 war das Zypernproblem ein internationaler Konflikt von so großer Bedeutung geworden, dass sich auch die USA und die Sowjetunion einschalteten. Die amerikanischen Versuche, eine
Verhandlungslösung herbeizuführen, scheiterten. Sie sahen die Enosis und einen türkischen Stützpunkt vor und waren in ihren verschiedenen Varianten weder für die Griechen noch für die Türken
akzeptabel.
Eine türkische Invasion wurde 1964 durch ein Machtwort des amerikanischen Präsidenten Johnson verhindert, es kam lediglich bei einem Angriff auf eine türkische Enklave im Nordwesten der Insel
zu heftigen Angriffen der türkischen Luftwaffe. Eine Verhandlungslösung war auch wegen der innenpolitischen Probleme der türkischen und der griechischen Regierung kaum möglich. In Griechenland gab
es seit 1965 kaum noch eine handlungsfähige Regierung. Es zeichnete sich die Entwicklung ab, die zum Militärputsch und damit in der Folge zur Teilung Zyperns führte.
Richter stellt die hier im Überblick skizzierte Entwicklung auf (bisher) 1800 Seiten minutiös dar. Sein Werk ist dabei übersichtlich und flüssig lesbar. Er informiert über (fast) alle Fragen
der neueren Geschichte Zyperns - zum Beispiel über die Rolle, die der heutige Präsident von Zypern in der EOKA spielte. Alle drei Bände sind reichhaltig illustriert, jedem liegt eine historische
Faltkarte von Zypern bei.
Harald Gilbert
Heinz A. Richter:
Band 1: Geschichte der Insel Zypern 1878 -1949, Mannheim und Möhnesee: Bibliopolis 2004,
498 S. (= Peleus Bd. 29), ISBN 3-933925-64-9
Band 2: Geschichte der Insel Zypern 1950 - 1959, Mannheim und Möhnesee: Bibliopolis 2006, 665 S. (= Peleus Bd. 35), ISBN 3-933925-79-7
Band 3: Geschichte der Insel Zypern 1959 - 1965, Verlag Franz Philipp Rutzen: Mainz und Ruhpolding 2007, 644 S. (= Peleus Bd. 37), ISBN 3-938646-12-5
Bezugsquelle für alle Titel: www.rutzen-verlag.de
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