Kultur

Gemetzel im Schatten des Booms

von ohne Autor · 25. Juli 2014

Eine mysteriöse Mordserie hält eine öde Industriestadt in Atem: Der Arthouse-Krimi „Feuerwehr am helllichten Tage“ rückt nicht nur die Aufklärung eines Verbrechens, sondern auch den Existenzkampf abseits von Chinas Glitzer-Metropolen in den Blick.

Der Rückgriff auf bewährte künstlerische Mittel – um das böse Wort „Kopie“ zu vermeiden – gilt in China bekanntlich nicht als Makel, sondern als Auszeichnung. Im Falle des neuen Films von Diao Yinan muss gesagt werden, dass diese Methode voll aufgegangen ist: „Feuerwerk am hellichten Tage“ wartet mit allem auf, was der Film Noir, ein Genre, dass man gemeinhin mit US-Krimis aus den 40er-Jahren verbindet, zu bieten hat. Doch dabei lässt es der chinesische Regisseur nicht bewenden: Sein düsteres Drama über grässliche Morde und enttäuschte Leidenschaften ist auch ein Kommentar zur fragilen gesellschaftlichen Lage in seinem Heimatland.

Eine Hand hier, ein Bein dort: Immer wieder tauchen in den Kohlehalden der Kraftwerke irgendwo im Norden Chinas Leichenteile auf. Sollten gezielt missliebige Zeitgenossen auf Nimmerwiedersehen verschwinden oder war hier ein Irrer am Werk?

Jahrelang tappt die Polizei im Dunkeln. Einer der Beamten ist Zhang Zili. Die schleppenden Ermittlungen verquicken sich mit seinem verkorksten Liebesleben zu einer gefährlichen Dynamik. Nachdem er bei einer missglückten Festnahme von Verdächtigen als einziger überlebt, fällt er in ein tiefes Loch. Fünf Jahre später begegnen wir dem Ex-Kommissar als übergewichtigen  Wachmann mit merklichem Alkoholproblem. Den Polizeidienst hat er längst quittiert, doch vom Ermitteln auf eigene Faust will oder kann Zhang nicht lassen. Jene Momente der Würdelosigkeit, wenn er etwa wieder einmal besoffen neben seinem tuckernden Motorroller eingeschlafen ist, schüttelt er so schnell ab wie den Schnee in diesem trüben Moloch.

Wieder mal einsam

Und das aus gutem Grund: Schließlich ist immer noch nicht klar, wie die Leichenteile in die Kohle gekommen sind. Bis erneut eine Spur zu der seltsamen Schönen in der Reinigung an der Ecke führt. Zhang Zili heftet sich an Wu Zhizhens Fersen. Dabei glüht in ihm nicht nur die Leidenschaft, mehr aus ihr herauszubekommen als die Ex-Kollegen mit ihren Verhören. Zunehmend fühlt er sich von ihr mit Haut und Haaren angezogen – ohne zu ahnen, dass er sich dadurch in tödliche Gefahr begibt. Am Ende bleibt ihm erneut nur die Einsamkeit.

Mag die Erzählweise dieses Films mitunter verwirrend sein: Der Faszination dieser gleichsam spröden wie poetischen Erzählung kann man sich schwer entziehen. Unter Poesie ist hier nicht zuletzt eine Bildsprache zu verstehen, die sowohl bedrohlichen wie slapstickartigen Situationen in langen, überwiegend nächtlichen Einstellungen reichlich Raum lässt. Und während man sich eben noch über die Motive der Auftretenden den Kopf zerbricht, fließt wieder einmal Blut. Es könnte unter anderem diese eigenwillige Art und Weise, die Dinge permanent in der Schwebe zu halten, ohne an Intensität zu verlieren, gewesen sein, die die Jury der Berlinale in diesem Jahr bewogen hatte, diese Regiearbeit mit dem Goldenen Bären auszuzeichnen. Der Silberne Bär ging übrigens an Hauptdarsteller Liao Fan. Mit einem Minimum an schnoddrigen Sätzen führt er uns ein Individuum vor, das als Polizist und Liebender zum Scheitern verurteilt ist, aber doch immer wieder nach eigenen Wegen sucht, um der Sinnlosigkeit seiner Existenz – und wohl auch jener der äußeren Umstände – zu entkommen. Ähnlich ergeht es jener Witwe (Gwei Lun Mei).

Mit anderen Worten: In einer Welt schmuddeliger Eintönigkeit, die nichts mit der Glitzerwelt chinesischer Mega-Metropolen zu tun hat, streben der Schnüffler und die Frau aus der Reinigung, wenn auch mitunter auf abstruse Weise, nach individueller Erfüllung: Was für ein Kontrast zum offiziellen Chinabild, das das Regime gerne pflegt und in die Welt trägt: Statt Fortschrittsglaube und glücklichen Konsumenten-Massen verfolgen wir den mühevollen Existenzkampf zweier Menschen, die an dem Leben an der Peripherie der Boom-Nation kaputtgehen. Obendrein erscheinen Polizisten und Sicherheitsleute mitunter alles andere als vorbildhaft, werden sogar Einblicke in die in der Realität von Korruptionsskandalen und Grubenunglücken geplagte Kohleindustrie gewährt.

Kleine Sensation

All das ist eine kleine Sensation. Dass Chinas Zensurbehörde diesen Film – angeblich nach minimalen Änderungen – freigegeben hat, verwundert. Dass er den Nerv vieler Menschen im Reich der Mitte getroffen hat, belegen die Zuschauerzahlen: Schon nach zwei Wochen hat er dort 13 Millionen Dollar eingespielt – für derlei Arthouse-Produktionen ein alles andere als selbstverständliches Ergebnis. Diao habe mit seinem Film nicht nur von Mordserie erzählen wollen, wenngleich sich in Verbrechen mitunter auch die Realität widerspiegele, so eine Selbstauskunft. Er habe auch auf „unsere neue Lebenswirklichkeit“ verweisen wollen. Das ist ihm auf eine mitunter bizarre, aber nicht minder beeindruckende Weise gelungen.

Bildtext: Wieder mal am Ende: Ex-Kriminalkommissar Zhang Zili (Liao Fan).


Bild: Weltkino

Info: Feuerwerk am hellichten Tage (Bai Ri Yan Huo/ Black Coal, Thin Ice, China/USA 2013), ein Film von Diao Yinan, mit Liao Fan, Gwei Lun Mei, Wang Xuebing u.a.,106 Minuten. Ab sofort im Kino


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