Gemeinsam gegen Thatcher und Vorurteile
„Die meisten Menschen halten die Geschichte für ausgedacht, wenn sie zum ersten Mal von ihr hören, und mir ging es genauso“, sagt Drehbuchautor Stephen Beresford. In der Tat könnte der Kontrast kaum stärker sein: Eine Gruppe von Londoner Lesben und Schwulen sammelt Mitte der 80er Jahre Geld für streikende Bergarbeiter. Als sie ihre Spenden bei den Nase rümpfenden Gewerkschaften nicht los werden, machen sie sich auf nach Südwales, um es bei den Bedürftigen abzuliefern. Was folgt ist in vielerlei Hinsicht eine Begegnung der besonderen Art, allerdings mit einem realen Hintergrund.
Was für damalige Verhältnisse als Revolution galt – die Verbrüderung von queeren Großstädtern mit bodenständigen Arbeitern vom Land – belegt, welche unverhofften Allianzen der tiefgreifende Wandel in Großbritannien damals möglich machte. Der fast ein Jahr währende Streik im ganzen Land 1984 sollte die Schließung vieler Zechen und den Verlust von 20.000 Jobs verhindern. Er endete allerdings wegen des ausbleibenden Erfolgs mit der Entmachtung der Gewerkschaften und gilt als Fanal für jene radikale Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft unter Premierministerin Margaret Thatcher, die neoliberalen Epigonen als Blaupause diente.
Heiße Zeiten
In jener durch Massendemonstrationen und Polizeiwillkür aufgeheizten Zeit sehen viele die letzten Zuckungen eines Systems, das sich an Gemeinsinn und Gemeinwohl orientiert. Wenig später behauptete Thatcher, es gebe keine Gesellschaft sondern Individuen. In „Pride“ wird diese Zäsur wieder lebendig. Doch keine Angst: Dieser Film ist alles andere als ein moralisierendes Manifest, trotz gelegentlicher Momente des Pathos. Er ist ein Lehrstück mit den Mitteln einer Feel-Good-Komödie, die einen von Anfang an ihren Bann zieht.
Was auch daran liegt, dass die existenzielle Krise der Streikenden und die Stimmung innerhalb der Schwulen- und Lesbenbewegung unaufdringlich, aber realitätsnah aufgearbeitet wird und zugleich die innere Entwicklung der Hauptpersonen im Blick bleibt. Das Coming-Out eines Spendensammlers steht so für eine britische Gesellschaft, die spürt, dass der Wandel nicht mehr zu leugnen ist.
Den Streikenden wurde damals der Lohn gestrichen, häufig auch Strom und Wasser abgestellt. Spenden wurden überlebenswichtig, brachten aber gleichzieitg das Rollenbild des männlichen Ernährers ins Wanken. Und die meisten Hilfsgelder kamen ausgerechnet von den „Perversen“ aus der Hauptstadt! So begibt sich der junge Schwulen-Aktivist Mark Austin mit seiner Gruppe LGSM („Lesbian and Gays Support the Miners“) auf vermintes Territorium. Regelmäßige Übergriffe der Polizei und die diskriminierende Behandlung durch die Regierung machen streikende Arbeiter und Homosexuelle zu Leidensgenossen, die sich gegen einen gemeinsamen Feind zur Wehr setzen müssen. Mit dieser Überzeugung steigt die bunte Truppe in ihren klapprigen Transporter.
Harte Brocken
Doch das wahre Leben in jener trübsinnigen Arbeitersiedlung sieht anders aus. Als der ihnen wohlgesonnene Ortsvorsteher sie seinen Leuten vorstellt, leert sich das Streikzentrum im Nu. Keine Frage – diese stoischen Arbeiter, die sich so fest an ihre reaktionären Überzeugungen klammern wie an ihr Bier beim Tanzabend, sind ein harter Brocken.
Somit liegen die Hoffnungen zunächst auf den Frauen. Bei einer Party, welche die Dörflerinnen mit exaltiertem Disco-Tanz aus Londons Kellern vertraut macht, bricht das Eis. Dennoch gibt es bei der gegenseitigen Annäherung immer wieder Rückschläge. Stolz und Vorurteil halten sich hartnäckiger als der idealistische Mark zunächst wahrhaben will, wenngleich beide Seiten rasch voneinander lernen. Bis zum gemeinsamen Marsch auf einer Gay-Parade in London ist es allerdings ein weiter Weg. Und doch ist es am Ende auch den Kumpeln zu verdanken, dass die Labour-Party – im Gegensatz zur Tory-Regierung – die Rechte von Homosexuellen in ihr Programm aufnimmt.
Arrogante Macht
Schrille Homosexuelle gegen Macho-Malocher, Provinz gegen Großstadt, ziviler Ungehorsam gegen die Arroganz der Macht, dazu eine zunehmende Stigmatisierung von Schwulen kurz nach Ausbruch der AIDS-Epidemie: In diesem Film mit zahlreichen Vertretern der ersten britischen Schauspieler-Garde schwingt einiges mit. Nicht alles davon wird in gleicher Intensität erzählt, ist aber stets präsent in einem Panorama, das auch in seiner Farbgebung den Gegensatz zwischen grell-quirliger Metropole und zunehmend verfinsternder Dorfwelt kontrastiert und in überraschenden Szenen aufhebt. Kostüme, Ausstattung und Soundtrack liefern stimmige, bisweilen überspitzte Zitate aus den 80er-Jahren ohne in die Parodie abzudriften. Gerade die Leichtigkeit der Erzählung schärft das Bewusstsein für den ernsten Hintergrund dieser klassisch britischen Sozialkomödie. Das Ergebnis ist ein erfrischender Appell – den Glauben an das Gute im Menschen auch in verzweifelten Lagen niemals zu verlieren.
Info
Pride (Großbritannien 2014), Regie: Matthew Warchus, Drehbuch: Stephen Beresford, mit Ben Schnetzer, Imelda Staunton,Paddy Considine, Bill Nighy u.a., 116 Minuten.
Ab sofort im Kino