Kultur

Gelobtes Land in Sicht

von Die Redaktion · 13. April 2006

Es kann schlecht behauptet werden, dass Theodor Herzl als Zionistenführer geboren sei. Sein erster großer Traum sieht anders aus: Als junger Feuilletonist träumt er vom Wiener Burgtheater. Mit 30 hat er es als Theatermann endlich geschafft: Seine Komödie "Die Wilddiebe" feierte Premiere an der Burg.

Dann wechselt Herzl ins politische Ressort. Als Paris-Korrespondent schaut er hinter die Kulissen der Macht. Mitten in diese erfolgreiche Karriere eines assimilierten Juden platzt der Schock: Herzl durchlebt die Affäre Dreyfus, den getürkten Spionageprozess gegen den einzigen Juden im französischen Generalstab. Dieser antisemitische Schauprozess muss Herzl sehr getroffen haben. Schlagartig begreift er, dass Anpassung nicht vor Judenhass schützt. Hauptmanns Alfred Dreyfus wird in Paris vom Pöbel ausgeschrien. "Am liebsten hätten sie ihn geteert und gefedert. Das war nicht die Rache für den Verrat militärischer Geheimnisse. Oh, das war ein ganz anderer Zornesausbruch. Nicht \'Nieder mit Dreyfus\' johlten sie, sondern \'Nieder mit den Juden\'. Das war\'s vom ersten Augenblick an und das ist es geblieben", schreibt Herzl bitter enttäuscht.

In nur 13 Tagen entwickelt er nach dem Dreyfus-Schock seine Vision vom eigenen Judenstaat. Es ihm geht ihm darum, den verfolgten Massen Osteuropas schnellstmöglich eine Zuflucht zu verschaffen. "Die Juden haben die Hoffnung auf das Gelobte Land nicht verloren", so Herzl. Und es ist ihm gleich, wo diese nun liegt - ob Argentinien, Uganda, Zypern oder Palästina. Die Verfassung des Staates sollte nach Herzl flexibel und modern sein. Die parlamentarische Monarchie und die aristokratische Republik hält er dabei generell für die besten Staatsformen, schließt erstere jedoch wegen mangelnder historischer Anknüpfungsmöglichkeiten sofort aus. Eine Art Aristokratie sei in der sozial-mobilen Gesellschaft mit vielen Aufstiegschancen die beste Lösung. Referenda als Basis der Gesetzgebung lehnt er aber ab, "denn in der Politik gibt es keine einfachen Fragen, die man bloß mit Ja und Nein beantworten kann. Auch sind die Massen noch ärger als die Parlamente jedem Irrglauben unterworfen, jedem kräftigen Schreier zugeneigt. Vor versammeltem Volke kann man weder äußere noch innere Politik machen."

Herzl macht sich auch Gedanken über die Sprache der Sprache: "Wir können doch nicht Hebräisch miteinander reden. Wer von uns weiß genug Hebräisch, um in dieser Sprache ein Bahnbillett zu verlangen?" Da die meisten Juden in Herzls Umfeld entweder deutschsprachig sind oder über das Jiddische eine Verbindung zur deutschen Sprache haben, meint er, Deutsch könnte am einfachsten die gemeinsame Sprache werden.

Ferner setzt Herzl sich mit der Religion auseinander. Er will theokratische Anwandlungen "unserer Geistlichen gar nicht aufkommen lassen. Wir werden sie in ihren Tempeln festzuhalten wissen, wie wir unser Berufsheer in den Kasernen festhalten werden." In diesem Punkt vertritt er also eine laizistische Position. Auch Details wie die Fahne des zukünftigen Staates hält er für wichtig - als Symbol der Identifikation. Ihm schwebt eine weiße Fahne mit sieben goldenen Sternen vor, die die sieben Arbeitsstunden repräsentieren soll, "denn im Zeichen der Arbeit gehen die Juden in das neue Land."

Holger Küppers

Theodor Herzl: Der Judenstaat, Manesse-Verlag, Zürich 2006 (Erstauflage 1896), 115 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 3-7175-4055-6

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