Wieso leben so viele Roma in Armut? Was kann man gegen ihre Diskriminierung tun, die gerade in Osteuropa erschreckende Züge annimmt? Norbert Mappes-Niediek hat mit seinem Buch den Versuch unternommen, Antworten zu geben. Am Dienstag stellte er es vor.
„Arme Roma, böse Zigeuner“ hat der Journalist Mappes-Niediek sein Buch genannt. Ein gewagter Titel, der schon viele Vorurteile vorwegnimmt, die Roma entgegengebracht werden. Tief verwurzelt scheint das Bild vom faulen, diebischen „Zigeuner“ in den europäischen Köpfen zu sein. Nicht erst seit der Räumung von Roma-Lagern in Frankreich, angeordnet vom ehemaligen Präsidenten Sarkozy, ist klar, dass Diskriminerung und Ressentiments zwar an der Tagesordnung sind, Klischees jedoch selten hinterfragt werden.
Genau das hat Mappes-Niediek versucht. Er bereiste Roma-Siedlungen, insbesondere in Rumänien und auf dem Balkan und machte sich selbst ein Bild. Das dabei entstandene Buch stellte er gestern in der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin vor und diskutierte im Anschluss mit ausgesuchten Gästen, darunter mit dem ehemaligen SPD-Staatsminister Gernot Erler und mit Orhan Jasarovski, der dem Landesverband der Roma in Nordrhein-Westfalen vorsteht.
Ursachen und Folgen der Armut
Durch die langjährige Berufserfahrung als Südosteuropakorrespondent kam Mappes-Niediek laut eigener Aussage oft mit der Roma-Thematik in Berührung. Dabei sei er schockiert gewesen, welche Resonanz er häufig auf seine Artikel bekommen habe, erklärte er. Hassmails seien an der Tagesordnung gewesen. Selten habe sich jemand gegen das Vorurteil vom kriminellen oder sogar dummen Roma gewandt.
Um dem argumentativ etwas entgegenzusetzen, lohne es sich, die Lebensumstände und Geschichte der Roma genauer zu betrachten, betonte Mappes-Niediek. So sei zum Beispiel seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Rumänien die Zahl der Arbeitsplätze um die Hälfte zurückgegangen. Unter den „neuen Arbeitslosen“ seien ausnahmslos alle in Rumänien ansässigen Roma gewesen. „Die Folge waren Armut und Obdachlosigkeit“, so der Autor. Roma hätten keine Immobilien, auf die sie zurückgreifen könnten. Mappes-Niediek bilanzierte: „Slumbildung war die logische Konsequenz.“
Dass rund um Armutsviertel weltweit eine hohe Kriminalität herrsche, dürfe niemanden überraschen, stellte Mappes-Niediek fest. Allerdings seien in Roma-Slums – anders als etwa in den Favelas Brasiliens – fast keine Gewaltdelikte zu vermelden. Auch Familienstrukturen blieben häufig intakt. Lediglich die Diebstahlquote sei rund um die Slums hoch. „Wer Hunger hat, stiehlt. Das ist nichts Roma-typisches, sondern ein soziales Problem!“, betonte Mappes-Niediek.
Verfehlte Lösungsansätze
Überhaupt sei vieles, was als „typisch“ für Roma gelte, eher balkantypisch, etwa die Gastfreundschaft, der Hang zu bunter Kleidung oder die Musik. Wie jede andere Bevölkerungsgruppe seien die Roma von der Umgebung geprägt, in der sie über Jahrhunderte gelebt hätten. Dass die Roma dort arm seien, wo es dem Rest der Bevölkerung auch schlecht gehe, könne nur einen Schluss zulassen, so Mappes-Niediek: „Wir reden nicht von einem Roma-Problem, sondern von einem Armutsproblem in den ländlichen Regionen Südosteuropas.“
Er kritisierte überdies den Umgang der westeuropäischen Staaten mit der Not der Roma. Es werde Geld in einzelne Projekte investiert, die nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet seien. Auch der Druck, den Deutschland auf osteuropäische Staaten bezüglich ihrer Integrationspolitik ausübe, vermittele eine fatale Botschaft: „Es wirkt, als würden wir sagen: Kriminalisiert eure Roma nicht, integriert sie ordentlich, aber schickt sie bloß nicht zu uns“, erklärte Mappes-Niediek.
Gefährliche Diskriminierung
Gernot Erler wies auf die Lage der Roma gerade in Ungarn hin: „Hier findet eine regelrechte Verfolgung statt.“ In den letzten Monaten hätten sich dort die Übergriffe auf Roma-Siedlungen gehäuft. Auch das sei eine Folge der wachsenden Armut der Gesamtbevölkerung.
Gegen Rassismus und Verfolgung mitten in Europa vorzugehen, müsse die Politik als ihre Hauptaufgabe betrachten. „Arme Roma, böse Zigeuner“ sei daher ein hochaktuelles und wichtiges Buch „EU-Hilfsgelder müssen in sinnvolle Programme investiert werden“, forderte Erler. So seien beispielsweise Förderungen im Schulwesen und beim Wohnungsbau notwendig.
Auch Orhan Jasarovski betonte, das Buch sei genau zum richtigen Zeitpunkt erschienen. „Bis jetzt wurde immer viel über Roma geredet, aber nie mit ihnen“, erklärte er. Mappes-Niediek habe einen besseren Weg gewählt und sei mit Roma in den Dialog getreten. Offiziell hätten sie zwar etwa in Mazedonien die selben Rechte wie der Rest der Bevölkerung, doch die Wahrheit sehe häufig anders aus. Ausreiseverbote oder mangelnder Zugang zu Bildungsangeboten seien an der Tagesordnung. „Zwischen Recht haben und Recht bekommen liegen häufig Welten“, fasste Jasarovski seine Erfahrungen zusammen.
Info:
Norbert Mappes-Niedieks Buch „Arme Roma, böse Zigeuner. Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt“ ist im Ch. Links Verlag erschienen und kostet 16,90 Euro.
studiert Germanistik und Buchwissenschaften in Mainz. Im Sommer 2012 absolvierte sie ein Praktikum beim vorwärts.