Kultur

Gegelte Bilanzen

von ohne Autor · 29. September 2011
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Und der Kater ist fürchterlich. "Wann haben wir begonnen, den Überblick zu verlieren?", fragt Sam Rogers, einer der Lenker einer New Yorker Investmentbank in dem Thriller "Margin Call". Die Parallele zur Pleite von Lehman Brothers liegt auf der Hand. Jene Insolvenz vor drei Jahren gilt als Schlüsselereignis der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise.

Auch die Bank ohne Namen in J. C. Chandors Spielfilm-Debüt ist weltweit vernetzt. Nachwuchsanalyst Peter Sullivan findet heraus, dass seinem Brötchengeber gigantische Verluste drohen, die das Aus bedeuten würden - mit unabsehbaren Folgen weit über die Wallstreet hinaus. Stück für Stück kommt ans Licht, dass Fehlentscheidungen und Kurzsichtigkeit des Spitzenmanagements eine rasante Talfahrt ausgelöst haben.

Zocker am Abgrund

Einzig der gerade gefeuerte Top-Risk-Analyst Eric Dale hatte sie vorausgesehen und Sullivan mit den nötigen Daten versorgt. Mit Pragmatismus, Zynismus und Zockertum tritt die Konzernführung eine abenteuerliche Rettungsaktion los - also mit jenen Tugenden, mit denen sie zuvor den Karren an die Wand gefahren hatte.

Zwar kommt ein Quantum Bewusstsein für die bitteren Realitäten hinzu. Aber lässt sich damit eine milliardenschwere Pleite abwenden? Eine weitere Entlassungswelle scheint unausweichlich - und damit das Ende des großspurigen Lebens für etliche Trader. Die Angst um schwindelerregende Gehälter und Boni steht vielen ins Gesicht geschrieben.

Das unübersichtliche Dickicht des Börsenhandels verdichtet Regisseur J. C. Chandor zu einem intensiven Kammerspiel: räumlich wie zeitlich. Eine einzige Büroetage wird zum Schauplatz eines Überlebenskampfes, der während einer abendlichen Überstunde losbricht. Knapp 24 Stunden später ist eine Schlacht geschlagen, aber mit dem Ende des Krieges ist es so eine Sache.

Debatten unter Profis

Chandor setzt einiges Wissen voraus. Nicht jeder wird die pointierten Dialoge der Börsen-Profis verfolgen, ohne ob der Flut an Leerstellen und Andeutungen abzuwinken. Das beginnt schon beim Titel: Unter dem "Margin Call" verstehen Experten einen Warnruf, der genau dann ertönt, wenn im Devisenhandel die Gefahr besteht, dass anstelle von "virtuellem" "echtes Geld" als Sicherheit verlangt wird, um zu verhindern, dass offene Posten zwangsaufgelöst werden. Alles klar?

Andererseits lassen die Wortwechsel die gründliche Recherche Chandors erkennen, der ein um Realismus bemühtes Drehbuch verfasst hat. Zumindest malen sich Laien das Investmentbanking genauso rasant aus wie in "Margin Call". Droht die ganz große Pleite, bleibt keine Zeit für lange Erklärungen. Außerdem ist man unter sich.

Gerade aus dem eigenwilligen Rhythmus der Dialoge speist sich die Dynamik dieses Films. Und aus der Perspektive: Überwiegend folgt der Erzählfaden der Warte von Sullivan und Rogers. Oberboss John Tuld ist mit seiner Entourage immer einen Schritt weiter. Somit droht bei jedem Meeting eine böse Überraschung - und die Spannung steigt.

Bestechendes Ensemble

Nicht nur angesichts der Tatsache, dass es sich bei "Margin Call" um eine Indie-Produktion handelt - einer der Produzenten-Debütanten der Firma "Before the Doors" ist Hauptdarsteller Zachary Quinto - mutet das Staraufgebot außergewöhnlich an. Doch von Starkino keine Spur: Kevin Spacey (Sam Rogers), Jeremy Irons (John Tuld) und Konsorten liefern eine beeindruckende Leistung als Ensemble ab.

Gerade durch die Interaktion treten die verschiedenen Temperamente zutage, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Angesichts der kompakten Erzählstruktur verleiht Kevin Spacey seiner Figur ein Höchstmaß an Tiefe. Der zweifache Oscarpreisträger entschlüsselt die Persönlichkeit eines Bankers, der in 34 Berufsjahren alles gesehen zu haben meint - und am Ende an sich und seinem Tun verzweifelt.

Simon Baker (bekannt aus "The Mentalist") agiert als gegelter Mephisto im Maßanzug vergleichsweise eindimensional. Eilt er nicht gerade ausladenden Schrittes über die Flure, gibt er das düstere Orakel des Top-Managements. Und Demi Moores Part trennt nicht viel von einer Quotenfrau, was auch am Drehbuch liegt. Der realistischen und kühlen Erzählhaltung zum Trotz werden an vielen Stellen die Klischees einer rauhen, von Männern dominierten Businesswelt Manhattans beschworen: markige Sprüche, dicke Autos und teure Puffbesuche. Etwas mehr Subtilität hätte, gerade, was die jüngeren Akteure betrifft, gut getan.

Hinter die Mauern geblickt

Ist "Margin Call" nun der Film zur Krise? Wohl kaum. Dafür ist der Fokus zu verengt. Doch immerhin führt das unterhaltsame und stimmige Drama vor Augen, was sich im Jahr 2008 hinter den so uneinnehmbar wirkenden Mauern mancher Investmentbank abgespielt haben könnte.

Info: "Margin Call - Der große Crash" (USA 2011), Drehbuch und Regie: J. C. Chandor, mit Kevin Spacey, Zachary Quinto, Jeremy Irons u.a., Länge: 109 Minuten.
Kinostart: 29.9.2011
Mehr Infos: www.dergrossecrash-derfilm.de

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