Kultur

Gefangen im Konkurrenzwahn

von ohne Autor · 23. Mai 2014

Jeder kennt die Floskel vom hässlichen Gesicht des Kapitalismus. Doch wie ticken jene Menschen, die dieses Mosaik formen? Das boshafte Kammerspiel „Zeit der Kannibalen“ liefert radikale Antworten.

Mit den Unternehmensberatern Frank Öllers, Kai Niederländer und Bianca März serviert uns Regisseur Johannes Naber drei Persönlichkeiten, die abstoßender kaum sein könnten. Wer ihr Auftreten verfolgt, dem kommt unweigerlich das Gedicht „Bis die Frucht fiel“ von Günter Grass in den Sinn. Darin heißt es: „Doch als in Friedenszeiten die Kurse ins Bodenlose (fielen), kam es, weil faule Kredite weltweit verfielen, zum allgemeinen Sittenverfall, worauf mir Fallgruben für all jene einfielen, die längst überfällig sind.“

So wie Grass in jenen Zeilen mitten in der Finanzkrise zockende Börsianer zum Teufel wünschte, möchte man dies auch den Hauptfiguren in „Zeit der Kannibalen“ angedeihen lassen. Für ihre Beratergesellschaft jetten sie vornehmlich durch Entwicklungs- und Schwellenländer Afrikas und Südasiens. Dort lassen sie kleine Unternehmer, die sich um solide Finanzen und ebensolches Wirtschaften bemühen. Vor allem  igeln sie sich in klimatisierten Luxushotels ein und besonders die Männer betrachten die Außenwelt so distanziert wie herablassend. Ausgewogenheit ist Nabers Sache nicht. Stattdessen stehen wir drei Ekelpaketen mit ihren Schwächen gegenüber, die sie am Ende scheitern lassen. Das wiederum macht sie menschlich, anstatt zu Monstern.

Öllers (Devid Striesow) und Niederländer (Sebastian Blomberg) haben vor nichts und niemandem Respekt. Wehe, jemand kratzt an ihrer Eitelkeit. Gleichzeitig versuchen sie, sich in ihrem Drang nach ganz oben – im Fall ihrer Gesellschaft handelt es sich um die Position des Partners – zu überbieten. So verbringen sie ihre Zeit in ihren Suiten irgendwo in Indien oder Afrika, während sie Kunden-Meetings oder Videokonferenzen mit der Zentrale vorbereiten. Eine Nachricht aus Hamburg reißt sie aus ihrer ostentativen Überheblichkeit: Ihr langjähriger Teamkollege Hellinger ist zum Partner aufgestiegen! Wie konnte man sie bloß übergehen? Wie viel Zeit bleibt ihnen noch, nachzuziehen? Ist ihr Rauswurf längst beschlossene Sache?

Zwischendurch ein Quickie

Zusätzliche Dynamik bekommen der Konkurrenzdruck und die Existenzängste durch ihre verqueren Charaktere: Öllers Ehe ist eine Katastrophe. Seinen Sohn plagt die Neurodermitis „im Endstadium“: Seine Komplexe und die Schuldgefühle, die Familie im Stich zu lassen, kompensiert er mit Zynismus und Quickies mit dunkelhäutigen Zimmermädchen. Die Geldscheine dafür scheinen ihm direkt aus der Hand zu wachsen. Der neurotische Niederländer versucht, seiner inneren Leere zu entkommen, indem er seinen Körper unablässig trimmt und das Hotelpersonal wegen Nichtigkeiten terrorisiert. So stellt man sich den zugereisten Herrenmenschen vor!

Plötzlich droht dem Duo, das sich ohnehin argwöhnisch belauert, noch von anderer Seite Ungemach. Als Ersatz für Hellinger steht Bianca März (Katharina Schüttler) vor der afrikanischen Hoteltür. Sie bedient zunächst das Klischee von Frauen in aufstrebenden Positionen: immer schön sachlich bleiben, vermitteln und bloß nicht auffallen. Und dazu ein Schuss Idealismus. Gleichwohl beweist sie mehr Weitblick als ihre Kollegen. Als sie das Maschinenpistolengeknatter irgendwo da unten nervös macht, hält ihr Öllers entgegen: „Wahrscheinlich hat eine ihren Jungfrauentest nicht bestanden und nun gibt’s ne Massenvergewaltigung. Schlag mal in deinem Reiseführer nach!“.

Schließlich überschlagen sich die Ereignisse: Als sich offenbart, dass März nicht gekommen ist, um die Teambildung voranzutreiben, sondern um die Männer auszuhorchen, verschärfen sich die Spannungen untereinander und die Kämpfe mit dein eigenen Komplexen. Hinzu kommt die frohe Botschaft, dass alle drei zu Partnern werden sollen. Öllers und Niederländer kriegen leuchtende Augen, einzig März bleibt skeptisch. Keiner von ihnen bemerkt, was sich währenddessen draußen vor der Tür zusammenbraut. Als es ums nackte Überleben geht, fallen alle Masken und es bleibt nichts als Jämmerlichkeit

Kontakt verloren

Hat es jemals einen so fesselnden und gemeinen Film über die menschlichen Auswüchse der globalisierten Wirtschaft aus deutscher Produktion gegeben? Ähnlich wie in Bastian Günthers Headhunter-Drama „Houston“ pflegt auch Naber die strenge und karge Form, wenngleich er diese wesentlich extremer, aber ebenso präzise gestaltet. „Zeit der Kannibalen“ wurde komplett im Studio gedreht und spielt ausschließlich in einheitlich öden Hotelräumen. Dass das, was die Berater lustlos durchs Fenster mit dem Blick streifen, nur aus Pappquadern und Kunstnebel besteht, wird gar nicht erst kaschiert: eine nichtssagende graue und rauchverhangene Suppe, sozusagen gesehen mit den Augen der Handelnden, die in ihrer eigenen Welt gefangen sind. Mit diesem gleichsam grotesken und beunruhigenden Kammerspiel, das von grandiosen Darstellern zu ungeahnten Höhen getrieben wird, hat Naber die ideale Form gefunden, um auf die Innenwelten jener Menschen zu schauen, die den Kontakt zu der Welt, die sie gestalten, längst verloren haben.


Info: Zeit der Kannibalen (Deutschland 2013), Regie: Johannes Naber, Drehbuch: Stefan Weigl, mit Devid Striesow, Sebsatian Blomberg, Katharina Schüttler u.a., 93 Minuten.

Ab sofort im Kino


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