Kultur

Gefangen in der Bilderflut - Rezension

von Die Redaktion · 21. September 2005

Die Elbe-Flut im Sommer 2002 hat die Bundestagswahl zu Gunsten von Gerhard Schröder entschieden. So pauschal diese These war, so verbreitet war sie auch. "Nicht die Flut selbst, sondern die folgende Bilderflut war ausschlaggebend," behaupten hingegen Noelle-Neumann, Donsbach und Kepplinger.

"Im Wahljahr 2002 war alles anders als bei den Bundestagswahlen zuvor," lautet der Tenor ihres Buches. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat ihrer Meinung nach die Partei gewonnen, der die Bevölkerung die geringere Problemlösungskompetenz zutraute. "Der Grund ist allein die Darstellung der Medien. Die Berichterstattung über die Flut hat damals alle anderen Themen verdrängt."

Als weiteres Beispiel für den entscheidenden Einfluss der Medien auf die Nutzer nennen die Autoren das erste Fernsehduell zwischen Amtsinhaber Schröder und Herausforderer Stoiber. Der erstaunlich Befund einer Zuschauerbefragung: "Die Meinung über den Sieger verschob sich erst Tage nach dem Duell." Hätte die Mehrheit zunächst Stoiber vorne gesehen, sei eine Woche später überwiegend Schröder als Sieger bewertet worden. Als Grund sehen die drei Wissenschaftler die Berichterstattung über das Duell in den Medien. "Die Eigenlogik der Medien überlagert häufig die Logik der Politik."

In elf Kapiteln untersuchen Noelle-Neumann, Donsbach und Kepplinger das Mediennutzungsverhalten der Wähler und dessen Einfluss auf die letztendliche Entscheidung. Sie führten hierzu Tausende Interviews und analysierten den Inhalt von fast 10 000 Beiträgen in Zeitungen, Zeitschriften und Nachrichtensendungen. Ergänzt wurde diese Arbeit von regelmäßigen Umfragen des Allensbach-Instituts.

"Der Wähler reagiert niemals auf eine Sache oder Person selbst, sondern immer nur auf dessen Darstellung", ist das Ergebnis der Untersuchung. So finde stets eine strikte Trennung zwischen dem Ereignis selbst und der Berichterstattung darüber statt.

Dennoch bleibt zu hoffen, dass der amerikanische Umfrageforscher Warren Mitofsky nicht Recht behält. Er hatte schon 1976 auf die Frage eines Journalisten, ob Fernsehduelle zukünftig Wahlen entscheiden könnten, geantwortet: "Ja. Aber nur dann, wenn die Journalisten einen Kandidaten zum Sieger erklären. Ich glaube nicht, dass sich die Bevölkerung ohne Hilfe von außen darüber eine Meinung bilden kann." Die Bundestagswahl 2005 jedenfalls widerlegt ihn.

Kai Doering

Elisabeth Noelle-Neumann, Wolfgang Donsbach, Hans Mathias Kepplinger: Wählerstimmungen in der Mediendemokratie, Alber Verlag, Freiburg 2005, 34 Euro, 252 Seiten, ISBN 3-495-48109-5

0 Kommentare
Noch keine Kommentare