Kultur

Gefährliches Paradies

Meldungen über dramatische Zwischenfälle an der Südgrenze der USA sind zur traurigen Routine gekommen. Das Drama „Los Angeles“ blickt auf jene Welt, der die Zuwanderer entkommen wollen.
von ohne Autor · 4. Februar 2015
Filmtipp: Los Angeles
Filmtipp: Los Angeles

Sie kommen zu Fuß, auf Zügen oder mit Schwimmreifen über den Rio Grande: Illegale Einwanderer aus Mexiko und Mittelamerika in den USA. Nichts hält sie auf, denn sie leben ihren ganz eigenen amerikanischen Traum. Familien schicken Kinder oder Elternteile fort, weil sie darauf hoffen, durch deren, oftmals kargen, Lohn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten der Armut zu entkommen. Nach Schätzungen erreichten im letzten Jahr 70.000 Kinder allein aus Mittelamerika die Grenze zwischen den USA und Mexiko. Im Jahr zuvor fanden dort rund 450 Menschen den Tod, darunter etliche Minderjährige.

Jeder hat die Bilder zu den Presseberichten im Kopf. Doch aus welcher Welt kommen diese Zuwanderer? Welche sozialen und kulturellen Prägungen bringen sie mit? Woher nehmen sie die Kraft und die Zuversicht,eine mehrere Tausend Kilometer lange und Reise mit ungewissem Ausgang und tödlichen Gefahren auf sich zu nehmen?

„Los Angeles“ erzählt davon, wie der Traum vom besseren Leben den Alltag eines Dorfes im Süden Mexikos bestimmt und einige Bewohner große Risiken auf sich nehmen lässt. Auch Mateo will endlich raus aus dem Bauernnest, wo Zerstreuung jenseits des Dorffestes oder von Trinkgelagen rar ist. So wie schon sein Vater will er dorthin, wo für so viele das Paradies wohnt: nach Los Angeles. Weil das Familienoberhaupt schon lange keine Dollars mehr nach Santa Ana del Valle schickt, ist es nun an Mateo, dessen Platz einzunehmen. Seine Einbildungskraft ist so groß, dass er das Paradies bereits bestens zu kennen meint. In der Gewissheit, dass es dort nicht nur schön, sondern auch gefährlich ist, schließt er sich einer Gang von Gangstern an, die Kontakte nach Kalifornien halten.

Netz aus Gewalt

Ohne es zu ahnen, verheddert sich der 17-Jährige nicht etwa in L.A., sondern vor seiner Haustür in einem Netz aus Gewalt, das seine Pläne gefährdet. Und verliert doch nicht die Hoffnung, fern der Heimat endlich Verantwortung für den kleinen Bruder, die Mutter und die Großeltern übernehmen zu können. Der US-Regisseur Damian John Harper findet dafür eine mitunter drastische, aber letztlich äußerst realistische Erzählweise. Anhand einer überschaubaren Dorfgesellschaft werden grundlegende Erfahrungen und Konflikte transportiert, die nicht nur in jener ländlichen Abgeschiedenheit zu finden sind.

Harpers Langfilmdebüt, das seine Weltpremiere im vergangenen Jahr bei der Berlinale feierte, beginnt mit einer gefühlt endlosen, fast komplett dunklen Einstellung. Während das Auge noch sucht, sind Tritte und Keuchen zu hören. Mateo durchleidet das Aufnahmeritual für jenen Kreis, der ihm so große Hoffnungen macht. Ein Martyrium, in weiten Teilen so unsichtbar wie der ferne Ort der Sehnsucht, um den sich alles dreht. Kurz danach sind alle wieder gute Kumpels. Als sich Mateo weigert, für die Bande einen Mord zu begehen, ist der Spaß aus. Nun muss er selbst fürchten, umgelegt zu werden. Der amerikanische Traum wird zum bösen Erwachen. Doch Mateo gibt nicht auf.

Was an diesem Film am meisten erstaunt, ist die intensive Wirkung eines fast schon dokumentarischer Realismus. Dieser wird nicht zuletzt von Darstellern getragen, die allesamt Laien sind. Gerade weil Harper, der in München Regie studierte und in Deutschland auch eine Produktionsfirma für „Los Angeles“ fand, so unverstellt mit der Handkamera in die Abgründe von zu allem entschlossenen Kleinkriminellen blickt und unaufgeregt die Folgen einer allgegenwärtigen Stagnation schildert, ist dieses Filmerlebnis so berührend. Fast meint man, selbst in der Hitze der Nacht durchs Dorf zu geistern.

Täglicher Überlebenskampf

Hier geht es also weniger um geschliffene Dialoge und aufwändige Bildeffekte, sondern um die Kunst einer maximalen Unmittelbarkeit, auch in freudigen Momenten. Von wenigen, auch dem Drehbuch geschuldeten, Ausnahmen abgesehen, agieren sämtliche Darsteller wie Profis. Freilich schöpfen sie aus ihrem Erfahrungsfundus als tatsächliche Bewohner dieses ebenso realen Dorfes, wo die meisten Aufnahmen entstanden sind. Das Ergebnis zeugt indes auch vom großen Vertrauen zwischen Regisseur und Ensemble. Ein Jahr lang hat der 1978 geborene Harper als Ethnologe in Santa Ana del Valle gelebt und er kehrte immer wieder zurück. Dort beeindruckten ihn vor allem die starken familiären Werte und der tägliche Überlebenskampf der Bewohner. Einige davon wurden zu Freunden.Dennoch ist „Los Angeles“ alles andere als ein distanzlose Hommage.

Mit diesem authentischen Ambiente bricht sich allerdings die sterile deutsche Synchronisation, die zu keinem Moment vergessen lässt, dass sie im Tonstudio eingesprochen wurde. Wer kann, sollte also die Originalversion in Zapotekisch/Spanisch bevorzugen.

Info: Los Angeles (Deutschland 2015), ein Film von Damian John Harper, mit Mateo Bautista Matias, Daniel Bautista, Valentina Ojeda u.a., 96 Minuten

Ab sofort im Kino

 

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