Kultur

„Gaza Surf Club“: Bretter, die die Freiheit bedeuten

Junge Männer pflegen den Körperkult. Ausgerechnet in Gaza-Stadt. Der Dokumentarfilm „Gaza Surf Club“ erzählt von der Kraft kühner Träume in einer deprimierenden Umgebung.
von ohne Autor · 31. März 2017

Übermütig hechten die jungen Männer mit ihren Surfbrettern vom Fels in die Wellen und lassen sich bis zum Strand tragen. Dort ragt nicht etwa ein Palmenhain hervor, sondern eine Silhouette aus kriegsversehrten Hochhäusern und Minaretten. Allein die langgestreckten Wellen, die am Strand von Gaza-Stadt anbranden, verströmen einen Hauch von Idylle. Für Ibrahim und seine Freunde genügen diese optimalen Surfbedingungen allerdings, um dem tristen Alltag der abgeriegelten Stadt für einen Moment zu entkommen und eine Ahnung von Freiheit zu spüren.

Leben abgeschrieben

„Ihr Verlangen ist so groß, dass sie ihren Verstand ausschalten“, sagt Abu Jayab. Einst schwang auch er sich voller Lebenslust aufs Surfbrett. Doch die ist dem 42-Jährigen längst vergangen. Wie so vielen anderen Menschen seines Alters in Gaza nach all den Kriegen mit Tausenden Toten und allgegenwärtigen Trümmern. Nicht zu reden von der Dauerblockade durch Israel und der nunmehr elf Jahre regierenden Hamas. Ihr Leben haben sie abgeschrieben und auch die Zukunft ihrer Kinder sehen sie düster. „Wir leben am Meer, doch es ist wie ein Gefängnis“, sagt Abu Jayab. Immerhin hat er die Fertigkeiten in Sachen Surfen an die nächste Generation weitergegeben.


Es ist auch ein Statement gegen die Herrschaft der radikalen Islamisten, die so ziemlich alles verbieten, was nicht nur jungen Leuten Spaß macht. So deutlich sagt das natürlich niemand vor der Kamera. Welch Wunder, dass auch das Wellenreiten, für viele ein Ausdruck grenzenloser Freiheit, verpönt ist. Für Mädchen und Frauen ist es, anders als noch vor wenigen Jahren, geradezu undenkbar. Doch die 15-jährige Sabah zeigt, wie auch das weibliche Geschlecht den Sittenwächtern ein Schnippchen schlagen kann. Zugleich zeigt sich an ihrem Beispiel besonders dramatisch, in welche Richtung die Gesellschaft mehr und mehr driftet.

Jenseits des Nachrichtenblicks

„Gaza Surf Club“ verschließt nicht die Augen vor den deprimierenden Seiten des Alltags in dem schmalen Küstenstreifen zwischen Israel und Ägypten. Sechs Wochen lang waren Regisseur Philip Gnadt und Koregisseur Mickey Yamine dort Ende 2014 unterwegs. Sie erlebten, wie mühsam es ist, überhaupt dort einzureisen. Wenige Monate zuvor tobte dort noch ein Krieg, wieder einmal. Das Team konzentrierte sich allerdings darauf, den Alltag jenseits von Hamas-Demonstrationen und Luftangriffen darzustellen, um Einblicke jenseits des von den Nachrichten bestimmten Bildes der Region zu liefern.

Wenn Ibrahim und seine  Freunde sich am Strand treffen, suchen sie neben Wind und Weite auch nach Möglichkeiten, in einer Welt der Stagnation und Sittenstrenge das auszuleben, was auch außerhalb des Nahen Ostens viele Menschen ihres Alters umtreibt. Zum Beispiel das Gefühl: Alles ist möglich, und zwar nach individuellem Gusto. Ihr Traum ist es, einen Surfclub zu eröffnen: frei nach westlichen Vorbildern, aber mit den Möglichkeiten der Blockade, die eben auch verhindert, dass Surfbretter aus dem Ausland nach Gaza gelangen. Wir erleben, wie vor allem der 23-jährige Ibrahim unerschütterlich daran arbeitet, aus einem kollektiven Traum Realität werden zu lassen. Am besten nach einem Praktikum auf Hawaii. Ein ebenso verzweifelter wie verwegener Plan. Doch sogar in Gaza sind Wunder möglich. Das ist die wichtigste Erkenntnis des Films.

Mag auch Ibrahim seine Leidenschaft manchmal über das Leiden stellen: Über die Lage im Reich der Hamas, wo Extremisten immer wieder Raketen nach Israel abfeuern und anschließend mit Gegenschlägen überzogen werden, macht er sich keine Illusionen. „Früher war Gaza einer der schönsten Orte der Welt, heute ist es eine der schrecklichsten“, sagt er. Diese Schönheit lässt sich heute angesichts von Trümmerbergen und wilden Mülldeponien nur noch erahnen. Die ebenso atmosphärisch dichte wie unaufgeregte Dokumentation trägt dazu bei, an sie zu glauben.

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