Kultur

Fußball unterm Hakenkreuz

von Die Redaktion · 8. November 2005

"Sieben Verbände teilten sich seinerzeit die Verwaltung dieses Sportes… Es gab darunter protestantische, katholische und Arbeiter-Fußballverbände, wie auch noch viele andere mehr… Heute gibt es nur noch einen einzigen, einheitlichen Verband."

So erklärte im November 1933 Felix Linnemann, im Amt belassener Vorsitzender des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), einem französischen Journalisten die organisatorische und weltanschauliche Wandlung seiner Sportart unter den neuen Machthabern. "Viele andere mehr": Den schon verbotenen Arbeiter- Turn- und Sportbund (ATSB) beim Namen zu nennen und die jüdischen Sportverbände zu erwähnen, vermied Linnemann wohl nicht zufällig.

"Fußball unterm Hakenkreuz" - lange hat der DFB die öffentliche Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in der NS-Zeit vermieden. Auch in Vereins- und Verbandschroniken wurde nach 1945 jene "schwere Zeit" gern übersprungen. Erst nach seinem 100-jährigen Jubiläum gab der DFB 2001 dem zunehmenden öffentlichen Druck nach und eine eigene Forschungsarbeit in Auftrag, die jetzt vorliegt. Nils Havemann, Dr. phil., Historiker in Mainz, hat das Risiko nicht gescheut, die widersprüchliche Rolle als Auftragsarbeit und doch als unabhängiger Autor anzunehmen.

Überzeugung, Opportunismus, Angst vor Repressionen, Autoritätsgläubigkeit, gepaart mit dem Hang zum Wegschauen, wenn andere drangsaliert wurden - die Motive der meisten Deutschen, die ab 1933 Hitler zujubelten und in seine Partei drängten, waren vielschichtig. Zu den führenden Mitgliedern des DFB fallen Havemann "zwei Punkte ins Auge: Wenige von ihnen gehörten vor 1933 der NSDAP an, wenige von ihnen blieben ihr nach 1933 fern."

Spätere Rechtfertigungsversuche einzelner Funktionäre, wo es sie denn gab, hoben uneigennützige Motive hervor: "Diese Männer standen treu zur Sache in einer Zeit, in der es galt, das bewährte Hergebrachte unserer Fußballbewegung zu erhalten", so der Hamburger Paul Sternberg 1955. Dies verdient ernsthafte Untersuchung, denn bestehen blieben zwar nicht die Eigenständigkeit und föderative Struktur des DFB, wohl aber die Vereine als Basis des organisierten Fußballs, und das war 1933 durchaus nicht sicher angesichts völlig anderer Vorstellungen, die etwa in der SA, Deutschen Arbeitsfront oder Hitler-Jugend bestanden. Der bald ernannte Reichssportkommissar Hans von Tschammer und Osten war jedoch beauftragt, bei der Zentralisierung und der Durchsetzung des Führerprinzips eine gewisse Selbstverwaltung bestehen zu lassen. Tatsächlich gab es im Sport und namentlich im Fußball größere Freiräume als in anderen Segmenten des öffentlichen Lebens unterm Hakenkreuz.

Welchen Einfluss auf diese Entscheidungen der DFB-Vorsitzende Linnemann - und andere führende Funktionäre des Bundes, von denen viele in ihren Ämtern blieben oder sogar aufstiegen - wirklich hatte, ist eine der Fragen, über die sich eine "herrschende Meinung" bisher nicht gebildet hat.

Dem Arbeiterfußball widmet der Autor wenig Aufmerksamkeit; dabei war, neben den verfeindeten Turnern, vor allem der ATSB gemeint, wenn der DFB schon zur Kaiser- und Weimarer Zeit "danach strebte, die Konkurrenz auszuschalten" (Havemann). Als im März 1933 die Bundesschule des ATSB von der SA besetzt und als jüdische Fußballer aus zahlreichen Vereinen schon hinausgedrängt und -geekelt wurden, noch bevor von Tschammer überhaupt entsprechende Anweisungen gegeben hatte, blieben Widerspruch hiergegen oder praktizierte Solidarität aus den Reihen des DFB äußerst rar.

Havemann ist nicht der erste Autor, der sich an dem schwierigen Thema versucht hat, allerdings der erste veritable Historiker (was zu betonen er nicht versäumt). Sein 473 Seiten starkes, an Zitaten und bislang unbekannten Details reiches Werk - allein 130 Seiten umfassen Anmerkungen und Quellenverzeichnis - ist das Ergebnis von rund drei Jahren Arbeit und des Zugangs zu Archiven und vielfach ungedruckten Quellen, die bisher nicht jedem Autor offen standen. Sollte sich dies künftig ändern, wäre das Buch doppelt nützlich.

Jens Reimer Prüss

Nils Havemann: Fußball unterm Hakenkreuz. Campus Verlag, Frankfurt/Main 2005, 473 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3593379066

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