„Für sozialdemokratische Arbeiter war 1914 ein Traditionsbruch“
Das Buch „Weltkrieg, Spaltung, Revolution“, herausgegeben von Uli Schöler und Thilo Scholle, ist empfehlenswert für Menschen, die sich gerne durch schwierige Texte kämpfen und mehr wissen wollen über die frühe Geschichte der ältesten deutschen Partei, der SPD. Zahlreiche Autoren haben sich mit sozialdemokratischer Politik während des 1. Weltkriegs und in den frühen Jahren der Weimarer Republik beschäftigt. Es sind Geschichten von Mut, Protest – und falschen Entscheidungen. Die facettenreiche Lektüre lohnt sich, denn die Leser werden am Ende des dicken Buches feststellen, dass sie klüger sind als zuvor.
Aufruhr in der Arbeiterpartei
Für die immer wieder beschriebene Kriegsbegeisterung finden die Autoren wenig Belege – im Gegenteil. Jens Ebert etwa schreibt: „Für die sozialdemokratischen Arbeiter war 1914 ein Traditionsbruch. Die SPD hatte sich stets als Antikriegspartei gesehen. Mehr noch, sie empfand sich als Bewegung gegen die bürgerlich-kapitalistische Ordnung, die als Ursache der Kriege galt.“ Er beschreibt, wie die stets international ausgerichtete SPD noch im Juli 1914 erfolgreiche Massendemonstrationen gegen die Kriegstreiberei organisiert hatte.
Dann aber galt ab Anfang August 1914 die sogenannte „Burgfriedenspolitik“. Das bedeutete für die SPD den Verzicht auf ernsthafte Oppositionspolitik, was für Aufruhr in der friedensbewegten Arbeiterpartei sorgte. Für viele Mitglieder und Wähler war vor allem die Zustimmung zu den Kriegskrediten, ohne die dieses verheerende Kriegsabenteuer gar nicht möglich gewesen wäre, der Sündenfall. Die Zustimmung ohne Bedingungen zerriss die Partei, führte später zur Gründung der USPD und der Kommunistischen Partei.
Keine einfache Antworten
Was beeindruckt, ist das hohe politische Niveau, auf dem damals gestritten wurde. In den Feldpostbriefen junger sozialdemokratischer Arbeiter zeigt sich beispielsweise ein politisches Wissen und eine zornige Nachdenklichkeit, die beeindrucken. Dass die Führungsebene angesichts der ständigen Vorwürfe aus dem rechten Lager, Sozialdemokraten seien „vaterlandslose Gesellen“, eingeknickt war, fand eben nicht die Zustimmung der Basis. Zumindest im linken Milieu war wenig zu spüren von der viel zitierten Lust am Krieg, von jungen Männern, die angeblich singend in ihren Untergang marschierten.
Durchgehend verweigert sich das Buch einfachen Antworten, wie sie heute noch verbreitet zu hören sind. Nämlich: die SPD staatstreu, die USPD revolutionär, die KP demokratieskeptisch von Anfang an. Der Streit über die künftige politische Linie ging in Wirklichkeit quer durch alle Lager. Eines verband die Linke über alle Parteigrenzen hinweg schon zu einer sehr frühen Zeit. Der Historiker Peter Brandt erinnert daran: Schon 1915 protestierten Frauen und Jugendliche öffentlich. Das weitete sich spätestens Anfang 1917 zu einer Massenbewegung der Arbeiterschaft.
Kein Frieden
Es begann mit Protesten der Arbeiterinnen wegen der „dramatisch ungleichen Lebensmittelversorgung“ und wurde „mehr und mehr auch mit dem Ruf nach Frieden verbunden. Diese Bewegung kulminierte in den großen und stark politisierten Streiks Ende Januar 1918.“ Es war der Mut der Verzweiflung, der die Menschen auf die Straße trieb. An der Front starben die jungen Männer, zu Hause hungerten und verhungerten die Menschen.
Das Ende des Krieges brachte keinen Frieden ins erschöpfte Land. Sogenannte Freikorps mordeten ungestraft, Proteste aus dem linken Arbeitermilieu wurden blutig niedergeschlagen. Die Hoffnungen auf eine neue, faire Wirtschaftsordnung erfüllten sich nicht.
„Weltkrieg, Spaltung, Revolution“, herausgegeben von Uli Schöler und Thilo Scholle, Dietz-Verlag Bonn, 472 Seiten, 30 Euro
(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.