Kultur

„Für Sama“: Geboren in den Trümmern von Aleppo

Bilder des Krieges als Vermächtnis für die Tochter: Der Dokumentarfilm „Für Sama“ bietet erschütternde Eindrücke von der Gewalt in den Syrien, ist aber vor allem ein Plädoyer für das Leben.
von ohne Autor · 6. März 2020

Draußen schlagen Granaten ein, doch dort unten im Keller trinkt Sama scheinbar unbekümmert aus ihrem Fläschchen. Das kleine Mädchen kennt nichts anderes als den Krieg. Als sie Anfang des Jahres 2016 im heftig umkämpften Osten Aleppos zur Welt kommt, wird in Syrien seit mehr als vier Jahren geschossen, massakriert und gestorben.

Dass wir diese Bilder sehen können, grenzt an ein Wunder. Aufgenommen hat sie Samas Mutter. Seit dem Beginn der Proteste gegen das Regime im Frühjahr 2011 filmt Waad al-Kateab, so ihr Pseudonym, den Alltag in der zweitgrößten Stadt des Landes. Anfangs zeigen verwackelte Handy-Videos, wie sich ihre Kommilitonen an der Universität über Diktator Assad lustig machen. Doch die unbeschwerte Atmosphäre währt nicht lange: Aus der Marketingstudentin wird eine Kriegsreporterin. Mit der Kamera hält sie das Leben in einer Metropole fest, die im Verlauf des Krieges zu einer Ruinenlandschaft wird.

Wie Syrien verblutet

Die Lage der Zivilisten wird immer bedrohlicher. Entgegen dem Flehen ihrer Familien bleiben Waad und ihr Mann Hamza mit Sama in der Stadt. Beide wollen auf ihre Weise den Kampf gegen Assad und seine Verbündeten weiterhin unterstützen. Hamza ist Arzt und leitet zu dieser Zeit das letzte Krankenhaus in Ost-Aleppo. Dort landet ein unaufhörlicher Strom verletzter und verstümmelter Frauen, Kinder und Männer an.

Waad hält weiterhin alles fest, was ihr vor die Linse kommt. Sie will den Menschen außerhalb ihrer Heimat zeigen, wie Aleppo verblutet. Ihre Reportagen gelangen ins Ausland: Ab Anfang 2016 laufen sie unter dem Titel „Inside Aleppo“ in den britischen Channel 4 News und finden ein Millionenpublikum.

Vor allem aber sind die Bilder als Vermächtnis für Sama gedacht. Sollte Waad und Hamza etwas zustoßen – und die Wahrscheinlichkeit dafür ist in dem eskalierenden Konflikt nicht gerade gering – soll ihre Tochter eines Tages verstehen, warum die Eltern mit ihr in dieser Hölle geblieben sind und wofür sie gekämpft haben. Die Aufnahmen sind zugleich eine Rechtfertigung und eine Liebeserklärung an Sama, aber auch an das Leben und den Widerstand. Es werden Einblicke in den Kriegsalltag geboten, die ausländische Medien kaum liefern können. Kriegsalltag bedeutet eben auch, dass das Leben der Menschen trotz der Luftangriffe und des Panzerbeschusses weitergeht und weitergehen muss, wenn es ums Überleben geht. Waad und Hamza lernen sich kennen, verlieben sich, heiraten und bekommen ein Kind. Währenddessen versinkt das einst so stolze Zentrum der Opposition in Trümmern. Das Nebeneinander von lebensbejahenden Momenten und den Schrecken eines Daseins unter Belagerung zieht sich durch den gesamten, in Vor- und Rückblenden erzählten Film.

Gesichter des Todes

Im Zentrum steht das Geschehen in den Krankenhäusern, in denen Hamza nacheinander wirkt. Immer wieder überschreiten Waads Einstellungen aus der Notaufnahme die üblichen Grenzen des Dokumentarischen. Die Gesichter des Todes sind mitunter kaum auszuhalten. Nicht weniger wirkungsmächtig sind die hoffnungsvollen Szenen. Das reglose Baby, das sie einer Frau aus dem Bauch herausschneiden, scheint keine Chance zu haben, doch nach ein paar Griffen schreit es dann doch noch. Beeindruckend ist zudem, wie die Menschen in den Katakomben der Klinik auch in den dunkelsten Stunden einander mit Humor und Herzlichkeit Mut machen. Sama beflügelt die Ausharrenden und erfährt Zuwendung von allen Seiten.

Ende 2016, als Ost-Aleppo vor der Übergabe steht, machen sich Waad, Hamza und Sama doch noch auf den Weg in die Türkei und später nach Großbritannien. Gemeinsam mit dem britischen Dokumentarfilmer Edward Watts („Escape from Isis“) formt Waad aus den mitgebrachten und bereits ausgestrahlten Bildern diesen Film. Aus den Momentaufnahmen wird eine intensive Erzählung, die nicht nur für den Untergang Aleppos Gültigkeit hat. „Für Sama“ war für den Oscar als bester Dokumentarfilm nominiert und wurde 2019 in Cannes als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet.

Die Dokumentation kann wegen des begrenzten Fokus kein ausgewogenes Bild vom Kriegsgeschehen liefern. Vielmehr formiert sich das Ganze zu einem berührenden und kraftvollen Schrei nach Leben. Und zu einer Anklage all derer, die diese mörderische Gewalt zu verantworten haben oder die ihre Augen vor dem Elend derer verschließen, die ihr Land verlassen, um dem sicheren Tod zu entkommen.

Info: „Für Sama“ (Großbritannien 2019), Regie: Waad al-Kateab und Edward Watts, Kamera: Waad al-Kateab, 95 Minuten, OmU. Im Kino

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