Kultur

Fritz Bauer: Feind im eigenen Land

Fritz Bauer zwang die Deutschen zum Hinsehen. Als Generalstaatsanwalt brachte er Auschwitz vor Gericht. „Der Staat gegen Fritz Bauer“ heißt ein neuer Film über ihn. Vier Wochen vor Kinostart lud SPD-Chef Sigmar Gabriel zur Voraufführung.
von Birgit Güll · 2. September 2015

Stell’ Dir vor, es ist Menschenjagd und alle machen mit. Dann ist die Jagd vorbei und keiner will es gewesen sein. Sechs Millionen ermordete Juden. Ein Weltkrieg. Dann kommen die 1950er Jahre in Deutschland. Und die ehemaligen Soldaten, die Nationalsozialisten, die Mitläufer und die Wegseher, sie alle schwelgen im Wirtschaftswunder. Das Volk der Täter ist im Kaufrausch. Die Vergangenheit soll vergangen sein. Das Unter-den-Teppich-Kehren entwickelt sich zur deutschen Tugend.

Wie das große Familiengeheimnis eines ganzen Landes, über das keiner spricht. So habe sich die Zeit angefühlt, sagt der Schauspieler Burghart Klaußner („Crazy“, „Die fetten Jahre sind vorbei“). Der 1949 Geborene spielt die Hauptrolle in Lars Kraumes „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Als Student in Berlin erlebte Klaußner, wie Bauer in Frankfurt die deutsche Schuld zur Anklage bringt.

Als Schauspieler verkörpert er nun  diesen Mann. Den deutschen Juden, den Sozialdemokraten, der, zurück aus dem Exil, NS-Verbrechen aufklärt. Klaußner hat die wenigen Videoaufnahmen von Fritz Bauer studiert. Am Montagabend bei der Voraufführung sagt er, er habe Bauer inhaliert und wieder ausgeatmet. Was er da ausatmet, ist großartig. Bauers knarziges, gepresstes Sprechen, in dem sich die schwäbische Herkunft andeutet. Der kettenrauchende, kauzige, alte Mann, der Gerechtigkeit will und dafür einen hohen Preis zahlt.

Ein deutscher Generalstaatsanwalt und der israelische Geheimdienst

Denn Bauer ist isoliert. Er bekommt Drohbriefe. Manchmal verschwinden Akten aus seinem Büro. „Meine eigene Behörde ist Feindesland“, sagt Bauer im Film. Der konzentriert sich auf einen schmalen Zeitabschnitt. Es sind die frühen 1960er Jahre. Zu dieser Zeit bekommt Bauer den Tipp, dass Adolf Eichmann sich in Argentinien versteckt. SS-Obersturmbannführer Eichmann. Er hat den Holocaust organisiert, die Transporte in die Konzentrationslager, die Morde. Ihn will Bauer vor ein deutsches Gericht stellen. Er soll die Namen der Mittäter nennen. Und die Deutschen sollen sehen, was sie da unter den Teppich kehren. Doch in der jungen Bundesrepublik wirken die alten NS-Seilschaften fort. Die deutsche Justiz ist von ihnen geprägt. Der Film zeigt den Hass, der dem Juden und Aufklärer entgegenschlägt.

Der Regisseur Lars Kraume hat das Drehbuch  gemeinsam mit dem Historiker Olivier Guez geschrieben. Die SPD hat sie zusammengebracht. Sie trafen sich vor fünf Jahren im Willy-Brandt-Haus. Guez stellte damals sein Buch über Juden in Deutschland nach 1945 vor.

Im Film haben sie Bauer einen jungen Staatsanwalt zur Seite gestellt. Karl Angermann (Ronald Zehrfeld) ist keine historische Figur, sondern  ein dramaturgischer Kniff. Mit ihm tauscht Bauer sich aus. „Glauben Sie wirklich, der BND wüsste nicht, wo sich diese Leute verstecken?“, sagt Bauer zu Angermann.  Der deutsche Generalbundesanwalt kann den deutschen Behörden nicht trauen. Er schaltet den israelischen Geheimdienst ein. Landesverrat. Der Mossad entführt Eichmann. Der Rest ist Geschichte. In Israel wird er 1962 gehängt.

Die geistigen Täter

Heute sind die wenigen noch lebenden NS-Täter sehr alte Menschen. Warum klagen wir sie jetzt erst an? Der Film liefere eine Erklärung dafür, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Der Film habe auch mit seiner persönlichen Biografie zu tun, sagt er. Sein Vater sei bis an sein Lebensende überzeugter Nazi gewesen. Er war zu jung, war kein Täter. „Aber er war ein Überzeugter. Er gehörte zu den geistigen Tätern“, sagt Sigmar Gabriel.

Die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum leitet das Zentrum für Antisemitismusforschung. Sie spricht am Montagabend davon, dass das NS-Gedankengut in der jungen Bundesrepublik weiter wirkte. Und Fritz Bauer sei nun fast 50 Jahre tot, doch erst in den letzten Jahren beschäftigten wir uns mit ihm. In Israel sei das ganz anders, erzählt der Produzent des Films, Thomas Kufus. Ein Teil von „Der Staat gegen Fritz Bauer“ sei in Israel gedreht worden. Dort sei Bauer ein Held, jeder kenne ihn.

Der eindrucksvolle Film trägt dazu bei, dass Bauer auch in Deutschland gewürdigt wird. „Der Staat gegen Fritz Bauer“ läuft ab 1. Oktober in den deutschen Kinos.

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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