Kultur

Fritz Bauer - ein unbequemer Mahner

von Anton Maegerle · 21. September 2014
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Eine Biographie widmet sich dem deutsch-jüdischen Emigranten, idealistischen Sozialisten, engagierten Juristen und Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903-1968). Er hat die juristische Auseinandersetzung mit den Verbrechen des NS-Unrechtsstaates vorangetrieben und die Deutschen über Schuld aufgeklärt.

Irmtrud Wojak, die Gründungsdirektorin des im Aufbau begriffenen NS-Dokumentationszentrums in München, zeigt in ihrer 638 Seiten starken Biographie wie Fritz Bauer sich den Aufbau einer demokratischen und sozialen Justiz, die Reform des politischen Strafrechts und die Prozesse gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher zur Lebensaufgabe machte.

Jude und Sozialdemokrat
Bauer wird 1903 als Kind einer assimilierten jüdischen Familie in Stuttgart geboren. Schon als Jura-Student schließt er sich als SPD-Mitglied dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold an. 1930 wird er zu Deutschlands jüngstem Amtsrichter ernannt. Den Nazis ist Bauer als Jude und Sozialdemokrat doppelt verhasst. Sie sperren ihn ins Konzentrationslager.

Bauer flieht ins Exil, nach Dänemark und Schweden. In Schweden wird er zum politischen Weggefährten Willy Brandts. Er wird in alle Gremien der Exilorganisation der SPD gewählt. Bauer kehrt 1949 nach Deutschland zurück. Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Tätern macht er sich zur Lebensaufgabe. Die ist schon bei seiner Rückkehr aus dem Exil in der deutschen Gesellschaft nicht konsensfähig.

Aus dem schwedischen Exil zum Generalstaatsanwalt
Sein beruflicher Weg führt Bauer vom Landgerichtsdirektor in Braunschweig bis zum Frankfurter Generalstaatsanwalt. Einen weit über die Grenzen Deutschlands reichenden Bekanntheitsgrad erlangt Bauer mit dem von ihm Anfang der 50er Jahre aufgebauten Prozess gegen den Ex-Generalmajor Otto-Ernst Remer. In seinem Plädoyer gegen Remer, der die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 des Hochverrats bezichtigt hatte, erklärt Bauer: „Ein Unrechtsstaat wie das Dritte Reich ist überhaupt nicht hochverratsfähig.“

Remer, Führungsfigur der 40.000 Mitglieder starken neonazistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP), wurde wegen übler Nachrede in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verurteilt – ein Sonderfall in der Rechtsprechung der deutschen Nachkriegszeit. Mit dem Remer-Prozess wurde zum ersten Mal ein deutscher Gerichtssaal zum Schauplatz der Rehabilitierung von Widerstandskämpfern.

Auschwitz-Prozess in Gang gebracht
1956 kommt Bauer als Generalstaatsanwalt nach Frankfurt. Vom ersten Tag an bestimmen die Verfahren gegen die NS-Verbrecher sein berufliches und sein privates Leben. Keine andere Strafverfolgungsbehörde der Bundesrepublik nimmt eine solche Arbeitslast bei der Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen auf sich wie die Frankfurter Staatsanwaltschaft in der Ära Bauer.

Aus dem von ihm in Gang gebrachten Auschwitz-Prozess 1963-1965 macht Bauer ein Verfahren gegen das Vergessen. Der Prozess stellt nicht zuletzt durch die Fülle der Zeugenbefragungen einen Wendepunkt in der Nachkriegsjustiz dar. Er führt den Deutschen den Ablauf des nationalsozialistischen Völkermords an den europäischen Juden vor Augen. Auschwitz wird zum Begriff für die Totalität des Unrechtssystems. Zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte wird die Schuld und Mitschuld der ganzen Gesellschaft greifbar, niemand kann sie mehr leugnen.

Eine Gesellschaft von Mittätern aufklären
Wojak ruft in ihrer glänzend geschriebenen Biographie in Erinnerung, dass Bauer es war, der die Verbrechen der Wehrmacht und die Beteiligung des Auswärtigen Amtes an der „Endlösung der Judenfrage“ zu einem gesamtgesellschaftlich diskutierten Thema machte. Er setze die Verfahren gegen die NS-Euthanasie in Gang und war maßgeblich an der Ergreifung von Adolf Eichmann beteiligt.

Bauers Ziel ist die Aufklärung darüber, dass auch der kleinste Mitwirkende an der Mordmaschinerie ein Täter ist. Die Wurzeln nationalsozialistischen Handelns sieht Bauer in autoritärer Staatsgläubigkeit und der mangelnden Zivilcourage. Mit den NS-Prozessen will er zur Selbstaufklärung der Gesellschaft über das auf Morden errichtete Unrechtssystem beitragen. Der Sinn der NS-Prozesse besteht für Fritz Bauer in der Wiederherstellung des Rechts, in der Anerkennung des Leids und Martyriums der Opfer der Gewaltherrschaft.

Isolierter Ankläger der NS-Verbrecher
Die Integration von Nazis in die Nachkrieggesellschaft hat Bauer als schwere Hypothek empfunden. Die Selbstreinigung der deutschen Justiz war ausgeblieben. Während der NS-Zeit tätige Richter und Staatsanwälte konnten ihre Positionen weitgehend behaupten. Bauer stieß mit seiner Aufklärung der NS-Verbrechen immerfort an Grenzen. Der Mahner Fritz Bauer geriet in eine Außenseiterrolle, die Folge war wachsende berufliche und private Isolation. „Wenn ich mein Arbeitszimmer verlasse, betrete ich feindliches Gelände“, hat er gesagt.

Bauer hat maßgeblich die strafrechtliche Aufarbeitung des NS-Unrechts, die juristische und politische Rehabilitierung des Widerstands betrieben und die verdrängte Erinnerung der Deutschen an die Verbrechen des Nationalsozialismus geweckt. Daneben griff er unentwegt in die Debatten um die Strafrechtsreform ein – wozu er eine Fülle von Aufsätzen, Artikeln und Buchpublikationen erarbeitete.

Am 30. Juni 1968 wird Bauer leblos in seiner Wohnung aufgefunden. Die genauen Umstände seines Todes bleiben ungeklärt. Dass die Stadt Frankfurt ihren langjährigen Generalstaatsanwalt bis heute nicht mit einer Auszeichnung geehrt hat, sei dem neuen sozialdemokratischen Oberbürgermeister als dringliche Amtshandlung empfohlen! Bauer ist eine der großen Persönlichkeiten der deutschen Geschichte. Die Sozialdemokratie kann stolz auf ihn und sein Wirken sein.

Irmtrud Wojak: „Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie“, Verlag C.H. Beck, München 2011, 638 Seiten, 34 Euro, ISBN 978 3 406 623929

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Anton Maegerle

ist freier Journalist.

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